Die ganze Familie Gerritsen brennt für „ihre“ rund 120 Mädchen, allen voran Jutta, das Herz der TSV-Tanzsportgarde.
„Ich wollte als junges Mädchen so gerne tanzen, aber leider habe ich das nicht umsetzen können“, erzählt Jutta Gerritsen mit leichtem Bedauern in der Stimme. „Als dann meine beiden Töchter sich für den Tanzsport interessierten, aber keine wirklich für sie passende Anlaufstelle fanden, habe ich selber die Initiative ergriffen.“ Und so gründete sie vor gut 15 Jahren die Abteilung Tanzsportgarde beim TSV Bocholt – ganz und gar ehrenamtlich. Diese ist aufgeteilt in vier Gruppen: Bambinis (4-6 Jahre), Jugendgarde (6-10 Jahre), Juniorengarde (11-14 Jahre) und Aktivengarde (ab 15 Jahre). In der Karneval-Saison sind die Gruppen bei verschiedenen Veranstaltungen im Einsatz, doch liegt der Schwerpunkt im Leistungssport, in der Teilnahme an Wettkämpfen und Meisterschaften.
Effektives Training und Spaß haben
Jutta Gerritsen blickt auf die Anfangszeit zurück, in der sie selber in einer Tanzsportgruppe “bei den Großen” mitgetanzt und dabei die Idee entwickelt hat, eine eigene Gruppe zu leiten. Mit zwölf Kindern habe sie angefangen, erinnert sie sich. Mittlerweile sind es 120 Kinder, Jugendliche und junge Frauen, die regelmäßig zum Training kommen und auch auftreten. Um ihren Anforderungen als Trainerin und Betreuerin gerecht zu werden, hat sie eine Reihe von Trainerscheinen gemacht. „Es ist ganz wichtig, dass Trainer gut ausgebildet sind“, erklärt sie. „Bei allen Bestrebungen, einen tollen Showtanz auf die Bühne zu bringen, darf nicht vergessen werden, auf die Gesundheit der jungen Mädchen zu achten. Es soll keinesfalls auf eine Überforderung der Gelenke und Muskeln hinauslaufen.“
Jedes Training beginnt mit einer Aufwärmphase durch ein Herz-Kreislauftraining mit anschließend ausgiebigem Dehnen, bevor es zum eigentlichen Tanzen geht. „Manchmal dauert es länger, bis bestimmte Bewegungsabläufe sitzen. Da muss man Geduld haben, schließlich brauchen alle eine saubere Technik, nur so ist ein für den Auftritt harmonisches Bild möglich.“ Die Kleinsten trainieren nur einmal, alle anderen Gruppen jeweils zweimal in der Woche.
Leidenschaft – tagtäglich
Nach den Sommerferien werden die Trainingseinheiten erhöht, die Termine für die Meisterschaften nähern sich. Die Jugendtänzerinnen haben dann noch zusätzliche Übungsstunden am Samstag, die Älteren treffen sich gar dreimal die Woche. Dieses Pensum kann Jutta Gerritsen alleine nicht mehr bewältigen. Ihr zur Seite stehen ehrenamtliche Helferinnen, die sich im Laufe der Jahre aus der eigenen Truppe gebildet haben. Auch ihre beiden Töchter sind mit im Einsatz; sie geben übrigens selbst Workshops, wie letztens noch in Stuttgart. Auf die Frage, ob ihr das Ganze nicht zu viel werde, antwortet Jutta Gerritsen lächelnd: „Tanzen ist meine Leidenschaft, von daher macht es mir nichts aus, dass es keinen Tag ohne gibt.“
Doch wie gelingt es ihr, ihre Schützlinge bei der Stange zu halten, trotz des aufwendigen Trainings? Viele sind seit der Bambinizeit dabei, haben in die älteren Gruppen gewechselt. „Wichtig ist es, Vertrauen zu den Tänzerinnen aufzubauen, dann fühlen sie sich wohl, kommen gerne zu den Trainingsstunden und freuen sich auf die Auftritte. Uns alle verbindet ein ganz besonderer Teamgeist und die Freude an der Bewegung zur Musik.“ Das, so meint Jutta Gerritsen, ist das schlichte Geheimnis. „Und ich bekomme so viel zurück! Als ich für einige Wochen zur Kur musste, hatte ich einen dicken Stapel von Briefen mit ganz vielen aufmunternden, liebevollen Worten im Gepäck, die meine kleinen und großen Tänzerinnen für mich geschrieben hatten.“ Sie muss sich bemühen, ihre Tränen zu unterdrücken.
Ein zusätzlich sehr erfreulicher Nebeneffekt des Trainings ist zudem die Förderung von Disziplin, Konzentration, Hilfsbereitschaft und Durchhaltevermögen, was sich auch – laut Aussagen von Eltern – im privaten sowie schulischen Bereich auswirkt.
Hinter den Kulissen
Eine Vielzahl von Arbeitsschritten ist notwendig, bis ein Tanz in der Öffentlichkeit präsentiert werden kann. Im Vorfeld dauert es durchaus ein bis zwei Jahre, bis Jutta Gerritsen eine passende Geschichte als Hintergrund gefunden hat. Dann beginnt die Suche nach der Musik. Spätestens von diesem Zeitpunkt an kommt die gesamte Familie Gerritsen – Ehemann, Töchter, Eltern – zum Einsatz. Beim Zusammenstellen der Musik entstehen die Ideen für die Tanzschritte; bei den Großen wird ein Choreograph, Ernst Voigt, hinzugezogen. Die Kostüme und Kulissen werden ebenfalls aus eigener Hand angefertigt, aus unterschiedlichsten Stoffen und Requisiten. Einiges kann aus dem in einem Zimmer des Hauses Gerritsen gelagerten Fundus genommen, anderes muss gekauft werden. Dafür stellt der TSV ein gewisses Budget zur Verfügung.
Das Beispiel des Cowboy-Tanzes, mit dem die Tanzsportgarde 2017 deutscher Meister wurde, zeigt, was alles geleistet wird. Nachdem die Musik mit den Gesangseinlagen zusammengestellt war, musste das Outfit für die 30 kleinen Tänzerinnen individuell genäht werden, und vor allem: alles muss exakt sitzen. Dafür gibt es genaue Vorgaben, werden diese nicht eingehalten, gibt es bei der Bewertung Punktabzüge. Auch die Frisuren wie Zöpfe mussten ein einheitliches Bild ergeben, bei allen endete der Pony gleich weit über den Augenbrauen.
Stehen die Meisterschaften an, werden die Eltern für den Transport und die Begleitung einbezogen. Sie bringen ihre Kinder zur Aufführungsstätte, buchen meist noch eine Unterkunft und helfen Jutta bei der Betreuung. An- und Umziehen, während des Trainings in Bocholt eingeübt, braucht seine Zeit. Hat sich der Saum eines Rockes gelöst, muss schnell genäht werden, und viele andere Kleinigkeiten sind zu erledigen. Frau Gerritsen Senior hat stets alles für solche Eventualitäten dabei. Beginnt der Auftritt, ist alle vorherige Aufregung vergessen. Hinterher wird alles zusammengepackt, Kostüme, Requisiten und Kulissen, und zuhause sorgfältig verstaut, werden Kleidung und Perücken gewaschen.
Und was es sonst noch gibt
Einmal im Jahr findet eine Teamfahrt statt, die die Gemeinschaft noch mehr zusammenschweißt. Im letzten Jahr gab es ein Trainingswochenende in Heidelberg, natürlich mit viel Tanz, aber auch mit lustigen Spielen. Während der Karnevalszeit begeistern die kleinen und großen Mitglieder der Tanzsportgarde ein breites Publikum in Sitzungen und auch in der Stadt bei Umzügen. Jedes Jahr gibt es eine neue Anstecknadel. Diese Pins werden ebenfalls selber entworfen.
„Viele fragen, warum ich mich derartig engagiere“, so Jutta Gerritsen. „Die Freude der Tänzerinnen gibt mir so viel, das ist für Außenstehende vielleicht schwer nachvollziehbar. Hinzu kommt, dass wir als Familie, mein Mann, meine Töchter, meine Eltern, etwas Schönes gemeinsam schaffen.“ – ah –