Manchmal werden Schachspieler als „Denksportler“ belächelt. Da kann man ja auch mit Halma oder Mikado kommen, könnte man denken. Falsch gedacht, merkt man, wenn man beim Bocholter Schachklub 26 reinlauscht.
Schachspieler gehören der eher unbeweglichen reiferen Generation an, lautet eine verbreitete Vorstellung. Zum Teil trifft das zu, aber auch an vielen Bocholter Schulen wird Schach gespielt, in sämtlichen Schulformen, auch schon unter den kleinen Grundschülern. Warum? Das mache einfach Spaß, sagt Thorben, 15, Klubmitglied und Leiter der Schach-AG des Georgs-Gymnasiums. Schon in der Diepenbrock-Schule hat er mit dem Schachspielen angefangen, unter zwanzig Kindern, wie er sagt. Spaß bedeutet vielfach „Action“, nicht selten in Verbindung mit Lautstärke. Vielleicht gehen wir zunächst mal davon aus, dass Schachspielen einen Reiz ausübt.
Duell per Köpfchen
Ein Schachspieler ist ein Einzelkämpfer. Er stellt sich einem Kontrahenten zum Duell. Ohne begleitende Geräusche wie etwa beim Tennis, beim Boxen oder auch beim Fechten. Das Denken hört man nicht. Allenfalls sieht man etwas davon anhand der Gesichtszüge der Spieler, Reaktionen wie Nervosität anhand bestimmter Körperbewegungen.
Schachspielen bedeutet, sich stark zu konzentrieren. Mit dem Blick auf 64 helle und dunkle Felder mögliche Spielzüge mit unterschiedlich zu bewegenden Figuren und deren Konsequenzen vorauszusehen. Es bedeutet, bekannte Situationen abrufbar im Kopf zu haben, komplex voraus- und immer wieder umzuplanen, taktisch und strategisch zu denken und vorzugehen. Auch unter Zeitdruck der Schachuhr nicht die Nerven zu verlieren.
Selbstgespräch ohne Worte
Schachspielen ist dabei stets auch ein Kampf mit sich selbst, ein stilles, bewusstes oder unbewusstes Selbstgespräch, um sich zu beruhigen und zu bestärken. Oder um nicht übermütig zu werden. Der Umgang mit eigenen Fehlern ist „ein sehr schwieriger Punkt“, wie Christian Burike weiß. Zumal es unter Schachspielern heißt, dem ersten Fehler folge leicht ein zweiter. Und es gibt weder Schiedsrichter noch Platzverhältnisse, denen man die Schuld zuweisen kann. Der 33-jährige Jugendwart des SK 26 (auf dem Foto vorne rechts, beim Schachspiel mit Jonas) hat in unzähligen gespielten Partien überraschende Wendungen erlebt, unterschiedliche Reaktionen von unterschiedlichen Gegnern. Es gebe die verkopften, die „nerdigen“, lässige und arrogante oder auch nach Niederlagen aufbrausende. Schach ist Psychologie, das Bemühen um Selbstbeherrschung, und eben auch Emotion. Schachspieler seien „wie Menschen sonst auch“, sagt Christian Burike. Vielen netten Leuten begegne er beim Schach.
Sport wird gemeinhin mit körperlicher Bewegung in Verbindung gebracht, und Bewegung vollzieht sich hier ganz überwiegend auf dem Brett. Läufer hin, Springer her: Auch sie schaffen nur ein paar Zentimeter und nicht mehr als eine Armbewegung. Allerdings: Dass beim Schachspielen „das Gehirn Energie frisst“, wie Christian Burike sagt, lässt sich wissenschaftlich untermauern. Für die Leistungsfähigkeit spielt die „geistige Frische“, das Konzentrationsvermögen, die situative Verfassung eine wesentliche Rolle. Ambitionierte Schachspieler achten auf ihre Fitness und ihren Biorhythmus. Alkoholverzicht ab 24 Stunden vor einem Wettkampf ist für Christian Burike eine Konsequenz, die er beachtet.
Jeder für sich und alle fürs Team
So besehen lässt sich, was ironisch Denksport genannt wird, jedenfalls unter den Kategorien Fitness und Leistung verorten. Formal als Sport gilt Schach bei wettkampfmäßiger Durchführung. Der Schachklub 26, Mitglied im Stadt-Sport-Verband, betreibt ihn mit drei Erwachsenen-Mannschaften á acht Mitgliedern, von denen die erste der Regionalliga angehört, der höchsten Spielklasse im Münsterland. In der U 20 sind sie zu sechst, in den je zwei U 16- und Schülermannschaften, in der U 12 und der U 10 jeweils zu viert. 72 Mitglieder zählt der Verein aktuell, rund die Hälfte davon sind Kinder und Jugendliche. Dass die 15- bis 23-Jährigen die größte Gruppe bilden, ist vergleichsweise selten, und der Altersdurchschnitt der Erwachsenen liegt bei 30 deutlich unter anderswo eher üblichen 50 Jahren. Ohne Dame geht’s nicht beim Schach, aber unter allen Mitgliedern und Teams gibt es nur je zwei Spielerinnen in zwei Mannschaften. Seit einiger Zeit kommen vier Jugendliche aus der Ukraine zu den Vereinstreffen in den Räumen der AWO an der Drostenstraße.
Bei Schach als sportlichem Wettkampf geht es nicht nur um den Einzelnen, sondern auch und gerade um das Team, dem man angehört. Man spielt für den Erfolg der Mannschaft, weniger für die eigene Persönlichkeit, was taktische Unterordnung bedeutet. Als Mannschaftssport bedeutet Schach Kontakt und Geselligkeit. Beim gemeinsamen Essen nach dem Wettkampftag, bei der Analyse der gespielten Partien, beim vereinsinternen Oster- oder Weihnachtsturnier. Das ruhige „königliche Spiel“ kommt fast ganz ohne Worte aus und hat dennoch Verbindendes – Spaßmachendes.
Freude, die Jungen voranzubringen
Den Spielbetrieb zu organisieren ist Aufgabe der sieben ehrenamtlich aktiven Vorstandsmitglieder. Dazu zählen unter anderem die Fahrten zu auswärts stattfindenden Wettkämpfen. Für die Kinder und Jugendlichen übernehmen das überwiegend deren Eltern. „Das klappt ganz prima“, lobt Christian Burike, beruflich stellvertretender Logistikleiter, der bei Bedarf auch selbst als Vereinschauffeur einspringt. Gebraucht wird er zudem vor allem als Betreuer – mit fachmännischem Rat, aber auch zur moralischen Unterstützung. „Ich könnte nie Lehrer sein“, sagt er, „aber die Arbeit mit den jungen Leuten macht mir Freude, das teile ich mit ihnen. Ich bringe ihnen gerne etwas bei, um sie voranzubringen.“ Viele gute Tugenden trägt das Schachspielen zur Persönlichkeitsentwicklung bei, wie er an seinen Schützlingen erlebt, von denen er einige bereits seit fünf Jahren betreut.
Noch einmal zum Thema Sport: Die jungen Schachspieler sind zusätzlich auch Fußballer, Tischtennisspieler oder Judokämpfer – und als solche vermutlich auch körperlich manchmal schachmatt… – jf –