Wie Gerechtigkeitsempfinden und großes Engagement Martin Koslowski zu einem verantwortungsvollen Ehrenamt führten.
Sich ungerecht behandelt fühlen und nichts dagegen tun können – das schmerzt. Jedes Kind kennt das. Martin Koslowski war 14, als er in die Lehre ging, um Fliesenleger zu werden. Sein Wunschberuf. Aber dann rasselte er durch die Gesellenprüfung, ebenso wie vier Mitprüflinge. Dagegen setzten sie sich erfolgreich zur Wehr. Ein Vierteljahr lang musste Martin Koslowskis Arbeitgeber ihm all das konzentriert vermitteln, was in seiner Ausbildung vernachlässigt worden war. Dann klappte es mit der Prüfung. Dieser Start ins Berufsleben sollte bezeichnend sein für den Werdegang des heute 67-Jährigen – bis hin zu seinem Engagement als ehrenamtlicher Richter.
Mut, den Mund aufzumachen
Die gravierenden politischen Ereignisse und gesellschaftlichen Veränderungen jener Zeit um die Mitte der 1970-er Jahre bewegte gerade junge Leute und ermunterte sie, sich auf verschiedene Weise einzubringen und zu engagieren. Das betraf auch die Arbeitswelt, in der die betriebliche Mitbestimmung erweitert wurde. Mit 18 statt wie bisher mit 21 war man nun offiziell erwachsen. So leicht und schlagartig änderten sich die Strukturen gerade auch in kleineren Firmen aber nicht durchweg. „Als junger Dachs den Mund aufzumachen“ blieb eine Herausforderung. Dazu brauchte es nach wie vor Mut.
Den hat Martin Koslowski – gestärkt durch sein frühes Erfolgserlebnis und gespeist aus seinem Empfinden für Gerechtigkeit bzw. Ungerechtigkeit. Als er erfährt, dass sein Arbeitgeber den Lohn nach nicht mehr geltendem Tarif zahlt, kündigt er postwendend. Die genannten Eigenschaften gelten indes nicht nur für ihn selbst, er bezieht sie im neuen, kleinen Betrieb auch auf seine Kollegen. Als sie dort gemeinsam einen Betriebsrat bilden, wählen sie ihn zu ihrem Vertreter.
Als Gewerkschaftssekretär nach Bocholt
Sich für die Rechte anderer einzusetzen wurde von nun an zum Lebensinhalt: In der Fachgruppe Fliesenleger, im Ortsverband der damaligen Gewerkschaft Bau Steine Erden, dessen Geschäftsführer ihn fragte, ob er sein Engagement nicht hauptberuflich wahrnehmen wolle. Martin Koslowski wollte, durchlief eine umfassende Ausbildung an verschiedenen Orten sowie ein Kurzstudium in Arbeits-, Sozial- und Wirtschaftsrecht und war dann Gewerkschaftssekretär.
Damit hatte er indes noch keinen Einsatzbereich. Diesen fand er in Bocholt. Bocholt? Absolutes Neuland für den inzwischen 32-Jährigen, der bis dahin in seiner Heimatstadt Hamm und in Bönen beschäftigt war. Nach Hausverkauf und Umzug zunächst nach Rhede war sein neuer Arbeitsplatz das Gewerkschaftshaus an der Bocholter Wesemannstraße (dort entstand aktuell das Foto). Eine Menge Arbeit und wenig Freizeit waren mit dem neuen Beruf verbunden, insbesondere auch nachdem die Bezirksverbände Gelsenkirchen, Recklinghausen, Gladbeck und Bocholt zusammengelegt wurden, was mit viel Fahrerei einherging.
Vielfacher Interessenvertreter
Im Rahmen seiner vielen Aufgaben entwickelte Martin Koslowski einen Schwerpunkt: Die Betreuung von Arbeitnehmern bei Firmeninsolvenzen. Da erlebte er plötzliche soziale Schicksale, Ungerechtigkeiten und Emotionen, wie er sagt. Das hat ihn gleichermaßen beeindruckt und motiviert. „Da sind Mitarbeiter teils Jahrzehnte im Betrieb, die leben quasi dort“, sagt er, um dann mir nichts dir nichts massiv enttäuscht zu werden. Das geht auch einem Gewerkschafter nahe und spornt ihn gleichzeitig an – über den reinen Job hinaus. „Gewerkschaftsarbeit kann keiner machen, der nicht auch ehrenamtlich engagiert ist“, sagt er.
Als wenn der Gewerkschaftsjob noch nicht genug wäre, kommen weitere Aktivitäten hinzu: in den Vertreterausschüssen der Arbeitsagentur in Coesfeld, der Deutschen Rentenversicherung sowie der AOK (dort zudem im Widerspruchsausschuss). „Aus Interesse“, sagt Martin Koslowski auf die Frage nach dem Antrieb für so viel Einsatz.
Lösungen finden
Und dann wird er, mittlerweile auch per Wohnanschrift ein Bocholter, Richter. Zunächst am Sozialgericht in Münster, dann am Landessozialgericht NRW in Essen. Bei zwei bis drei Verhandlungen im Jahr ist er neben drei hauptamtlichen Richtern einer von zwei ehrenamtlichen, von denen er die Arbeitnehmerseite vertritt. Um Rentenversicherungsangelegenheiten geht es hauptsächlich, teils auch mal um Rentenbetrug.
Generell wird die gütliche Einigung angestrebt. Gespräche, Beratungen zur Entscheidungsfindung sind wichtig. Insbesondere seine umfangreiche Erfahrung bringt Martin Koslowski dabei ein. Gemeinsam nach Lösungen zu suchen – dazu möchte er beitragen.
2020, nach mehr als 48 Berufsjahren, ist Martin Koslowski in Rente gegangen. Die Stadt Bocholt hat ihm die Ehrenamtskarte verliehen und das Landessozialgericht hat ihn mit Urkunde und Ehrennadel ausgezeichnet – für sein 30-jähriges ehrenamtliches richterliches Engagement, für das er unter anderem Lebenserfahrung, „Kenntnisse der Arbeitswelt und der sozialen Realitäten“ eingebracht und damit aus innerer Überzeugung „einen gewichtigen Beitrag zur Förderung des Rechtsfriedens“ geleistet habe.
Rückblickend sei das Familienleben oftmals zu kurz gekommen, bedauert Martin Koslowski. Aber er kann nicht anders, er muss neben seinem Engagement beim Landessozialgericht einfach noch zusätzlich was tun, sich weiter engagieren – „ein bisschen in der Gewerkschaft IG Bauen-Agrar-Umwelt“. Irgendwie (wir drücken die Daumen!) wird die nächste Wohnmobil-Tour mit seiner Frau wohl noch dazwischen passen… – jf –