Theatergruppe bereitet „Besuch der alten Dame“ vor – und dann kommt Corona.
Unsere Vorbereitungen für das neue Theaterstück „Besuch der alten Dame“ waren gut angelaufen, als sie durch die Corona-Krise jäh gestoppt wurden. Die Devise, zuhause bleiben, möglichst keine Außenkontakte haben, traf auf uns Mitglieder der Theatergruppe „Die Spätzünder“ erst recht zu, denn der größte Teil von uns gehört zur sogenannten Risikogruppe der älteren Mitbürger.
Da es zunächst hieß, nach den Osterferien wird es weitergehen, blieben wir alle recht gelassen. „Nehmt zwischendurch das Skript zur Hand und lernt eure Texte, so könnt ihr die Zeit sinnvoll nutzen.“ Das war der Rat unserer Regisseurin Adriana Kocijan. Aber die Situation ließ auch nach Ostern keine Normalität zu. An Zusammenkünfte und Probenarbeit war nicht zu denken.
Auswege
Seit Jahren treffen wir uns jeden Mittwochnachmittag, die Zusammenkünfte sind fester Bestandteil unseres Alltags. Freundschaften sind entstanden. Das intensive Proben schweißt zusammen, auch wenn es ab und an unterschiedliche Meinungen gibt. Und von jetzt auf gleich – Kontaktsperre.
Uns fehlte das Miteinander, die Kommunikation, die Diskussion über Umsetzungsmöglichkeiten. Unsere Telefone liefen heiß, Mails wurden geschrieben, WhatsApp-Nachrichten hin- und hergeschickt. Was tun? Wie können wir weiterkommen? Wir wollen unserem Publikum eine gelungene Aufführung präsentieren!
Eine gute Regisseurin weiß Rat: „Wir richten einfach eine Videokonferenz ein, bei uns im Theater laufen die Proben zurzeit über den PC. Wir können uns alle sehen und hören.“ Eine Rundmail wurde verfasst, ein Link versandt mit der Bitte, mit Hilfe dieser Angaben eine App herunterzuladen. Wir waren Feuer und Flamme, nur mit dem EINFACH war es nicht so einfach.
Anlaufschwierigkeiten
Auch wenn wir uns „Spätzünder“ nennen, ist das kein Hinweis auf langsames Verständnis. Ein Probedurchlauf wurde gestartet mit ein paar Mitgliedern der Truppe, die Jitsi Meet auf ihren Computer oder ihr Smartphone laden konnten. Doch die Verständigung stand auf äußerst wackeligen Füßen. „Ich kann euch zwar sehen, aber ich höre euch nicht!“ gab ein Teilnehmer über Telefon zu verstehen. Ein anderer: „Du siehst völlig verschwommen aus!“ Nach zwei Nachmittagen mit vielen Fehlversuchen verwarfen wir dieses Programm.
Aber unser Technikgenie Hein Bouwens gab nicht auf. Er empfahl eine andere App namens Zoom. Und diese brachte das gewünschte Ergebnis. Leider stellte sich heraus, dass nicht alle 22 Spätzünder einen Computer haben, der die notwendige Ausstattung hat, oder über einen ausreichenden Internetzugang für ihr Smartphone verfügen. Hein war unermüdlich, einigen konnte er durch Anweisungen und Einführungen per Telefon helfen, andere musste er zuhause aufsuchen, dort Einstellungen ändern und manche Webcam installieren. – Und nun läuft es!
Arbeitsweise
Mittwochs machen wir uns nicht auf den Weg zum gemeinsamen Proberaum, nein, wir treffen uns im Chat, sehen uns auf dem Bildschirm in vielen kleinen Kacheln unter- und nebeneinander. Ab 16.30 Uhr beginnt die Sitzung. Alles ist ungewohnt, es dauert, bis jeder eine Position hat, in der er von den anderen ausreichend gesehen werden kann. Jeder will etwas erzählen, in dieser Kakophonie ist das eigene Wort kaum noch auszumachen. Leo Heßling, Leiter unserer Truppe, hebt die Hand als Zeichen, dass er das Wort ergreifen möchte. „Grüßt euch, schön, dass ihr so zahlreich dabei seid. Nachher müssen wir noch darüber sprechen, ob wir unseren Aufführungstermin verschieben sollten. Aber jetzt hat Adriana das Wort.“ Nachdem sie mit einem Blick überprüft hat, wer fehlt, legt sie fest, welche Szenen gesprochen werden sollen. Wer seinen Text noch nicht aufgeschlagen hat, tut dies schleunigst, auch wenn er seine Rolle schon auswendig kann. Es kommt vor, dass einzelne Sätze oder Passagen abgewandelt werden, weil unserer Regisseurin eine treffendere Formulierung einfällt.
Ab und an unterbricht sie uns, um Korrekturen vorzunehmen. Dabei fällt dann meist der Satz: „Stellt euch vor….“ Weitere Hilfestellungen: „Das, was ihr jetzt nicht durch Körpersprache ausdrücken könnt, müsst ihr durch die Sprache leisten. Wie bei einem Hörspiel.“ Doch im Gegensatz zu ihr, die sich in ihrer Imagination in jede Situation und Rolle hineinversetzen kann, fällt uns das um Vieles schwerer, erst recht vor dem Bildschirm.
Auswertung
Theaterleute sind ein Völkchen für sich, meist ziemlich emotional und spontan. Jedes Treffen zur Probe beginnt mit aufgekratztem Hallo. Vielfach kann der Hereinkommende seine augenblickliche Stimmungslage nicht ganz verbergen. Körperhaltung, Gestik, Mimik verraten ihn. Zuhause alleine vor dem Computer, Laptop oder IPad kann diese Atmosphäre kaum aufgebaut werden.
Dennoch ist es schön, sich zu sehen und zu hören. „Besser als nix!“ lautet der lapidare Kommentar von Angelika Bösing. Sie konnte bei der jüngsten Sitzung das erste Mal dabei sein und freute sich riesig, nach Wochen alle einmal wiederzusehen. Auch Ulrike Rutgers-Sommer meint: „Es ist überhaupt sehr gut, den Kontakt zu den anderen Spätzündern zu haben. „Alleine schon die Stimmen zu hören, erdet die Mitspieler in unserem Theaterstück.“ Hein Bouwens ist sicher, dass die Inszenierung einer Theaterszene „nur auf Text basierend zu versuchen, die Phantasie anregt“.
Aber nicht allein der Text wird uns durch die Videokonferenzen vertrauter, auch Absprachen über Requisiten werden vorgenommen. So brauchen einige von uns für die Aufführung gelbe Schuhe. Ein Musterexemplar begeisterte alle, und eine gemeinsame Bestellung spart Kosten. So gab jeder die für ihn passende Schuhgröße an. Jetzt schon warten wir voller Spannung auf die Lieferung.
Uns ist trotz aller Bemühungen klar, dass wir die Aufführung auf das nächste Jahr verschieben müssen. Die Zeit läuft davon, und es ist völlig ungewiss, wann wir wieder unsere regulären Proben aufnehmen können. Wir haben das kommende Frühjahr im Blick und sind zuversichtlich: Wir schaffen es! – ah –