In Bocholts Stadtvierteln stecken Chancen. Kümmerer machen dort ihrem Namen alle Ehre. Was draus wird, liegt auch bei den Bewohnerinnen und Bewohnern.
Bei Quartier denkt man an Unterkunft. Viertel bedeutet das Wort auch. Gemeint ist ein Abschnitt, Teil einer Stadt, der Menschen beherbergt, wie das berühmte Quartier Latin in Paris. Quartiere gibt es auch in Bocholt. Und in denen tut sich immer mehr.
In den Quartieren macht sich wie überall gesellschaftlicher Wandel bemerkbar, gibt es mehr Fluktuation und mehr Hektik als früher, anteilig mehr ältere Menschen und weniger Zeit. Aber hier lässt sich das punktueller und in seiner Gesamtheit leichter betrachten als in dem ganzen, ziemlich großen Gebilde Stadt. Quartiere haben etwas Spezifisches: Sie sind Wohnbereiche, die sich als Einheit begreifen lassen, die einen inneren Zusammenhang aufweisen, was Gemeinsames, Nachbarschaftliches, das im Kern meist schon lange besteht. In Quartieren kennt man sich, und viele dort fühlen sich damit verbunden. Das ist eine gute Grundvoraussetzung für ein Miteinander. Um es angesichts sich verändernder Anforderungen und Bedürfnisse aufrechtzuerhalten, zu fördern und weiterzuentwickeln braucht es Eigeninitiative, Engagement der Menschen im Quartier im Verbund mit fach- und sachkundiger Unterstützung von außen.
Im vertrauten Umfeld
Vor acht Jahren hat die Stadtverwaltung damit begonnen, im Stadtgebiet Quartiere zu definieren, dort Bedarfe, Versorgungs- und Entwicklungsmöglichkeiten zu erkunden, um verschiedenste Angebote zu schaffen. „Beratungs- und Unterstützungsangebote für Senioren“ lautet der Titel eines Handlungskonzeptes, für dessen Umsetzung die Stadt den Verein Leben im Alter (L-i-A) als Partner gewann. Grundsätzliche Zielsetzung: Die Menschen sollen gern in ihrem Quartier leben, auch im Alter noch möglichst lange selbstständig in der vertrauten Wohnung, im vertrauten Umfeld, in Kontakt mit vertrauten Menschen. In Spork und in der Friedhofssiedlung wurde vor sieben Jahren der Anfang gemacht, Fildeken-Rosenberg und Feldmark-West folgten, weitere Quartiere sind angedacht.
Den Senioren und Seniorinnen im Quartier zu helfen, wo sie der Hilfe bedürfen ist eine vordringliche Aufgabe. Um das zu leisten, arbeiten Stadt und L-i-A mit verschiedenen sozialen, kulturellen und anderen Einrichtungen zusammen. Das Quartierskonzept lautet indes nicht schlicht „Liefern“, Versorgen und Wünsche erfüllen, sondern wo und soweit möglich Animieren und Aktivieren. Per Fragebögen und in Versammlungen ermittelten Stadtverwaltung und L-i-A, was in den Quartieren anzupacken ist. Auch die Anlaufstellen in den Quartieren stehen dafür, zur Beratung und als Treffpunkte zur Verfügung.
Mit Leib und Seele
• Im Quartier Fildeken-Rosenberg werden nach Abstimmung mit den Bewohnerinnen und Bewohnern verschiedene Flächen neu gestaltet, erhalten einen völlig neuen Charakter und eine neue Qualität. Die Pläne dafür kann man sich bis Ende Juli im Quartiershaus, Saarstraße 33, ansehen und Anmerkungen dazu machen.
• Wer sich für ein Engagement in den Quartieren interessiert, wendet sich an Agnes Wellkamp vom Verein Leben im Alter (L-i-A), Tel. 02871 21765655
E-Mail awellkamp@l-i-a.de.
Alltagstraining, Bewegungsangebote, Musik mit Beteiligung der Musikschule, Radtouren, ab und an auch Fahrten mit dem Auto werden von älteren Bewohnerinnen und Bewohnern des Friedhofsquartiers gerne wahrgenommen. Immer donnerstags treffen sich welche von ihnen an der Moltkestraße zum Spaziergang mit anschließendem Kaffeetrinken. Dann werden sie begleitet von Kümmerern, auf die diese hübsche Bezeichnung unbedingt passt. Beate Ehlting macht das als eine von sieben in diesem Quartier bereits seit sechs Jahren. Schon in Liedern, in der Landjugend, hat sie gerne mit Menschen Kontakt gehabt. Jetzt wohnt sie hier im Viertel und kümmert sich neben ihrem halbtäglichen beruflichen Einsatz um die Menschen um sie herum. Sie organisiert Ausflüge und entwickelt Ideen etwa für gemeinsame Treffen von Senioren und Kindergartenkindern zum Singen oder Frühlingsblumen-Pflanzen. Sie erledigt Einkäufe und hält gerade auch in diesen Corona-Zeiten telefonischen Kontakt, lädt in ihren Garten ein, fragt nach, wie es geht. Wenn es nötig war, hat sie Angehörigen in Sachen kümmern ins Gewissen geredet, und sie schafft es auch, einem älteren Bewohner endlich die Angst vor dem Zahnarzt zu nehmen.
Sie kann das, sie darf das, sie wird geschätzt, und sie ist bekannt im Quartier. „Hallo Frau Ehlting“, rufen die Leute unterwegs beim Spaziergang. Auf andere, die sie noch nicht kennen, geht sie zu, lädt sie ein mitzumachen, bei dieser oder jener Begegnung dabei zu sein. Beate Ehlting ist „Kümmererin“ mit Leib und Seele, und das ehrenamtlich. Das Foto oben zeigt sie (rechts) nach einem Spaziergang durch das Friedhofsviertel mit ihrer Kollegin Ingrid Meyermann, mit Ingelore Schehl (vorne) und weiteren Teilnehmern im Hintergrund.
Für die Entwicklung der Quartiere sind Kümmerer unverzichtbar. Sie sind Bindeglieder, Mittler, Interessenvertreter, sie verkörpern quasi den guten Geist der Quartiersgemeinschaft. Weil das so ist, wird es auch im Quartier Fildeken-Rosenberg Kümmerer geben. Hier wird besonders deutlich, dass sich das Thema Quartiere in Bocholt weiterentwickelt. Anders als in den Anfängen ist das sogenannte Quartiersmanagement in diesem Quartier nicht nur an die älteren, sondern an alle Bewohnerinnen und Bewohner gerichtet und bezieht sie mit ein. Aus einem Verfügungsfonds lassen sich kleine Projekte und Anschaffungen finanzieren, die ein Beirat aus Bürgern und Vertretern der im Quartier aktiven Einrichtungen für sinnvoll hält und auf den Weg bringt.
Neues engagiertes Team
Für ein Engagement als Kümmerer im Quartier Fildeken-Rosenberg haben sich Menschen unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Berufe und unterschiedlicher Herkunft gefunden. Eva Effertz, Veranstaltungskauffrau und gebürtige Mönchengladbacherin, hat die aktuelle Situation verordneter Kurzarbeit genutzt, um sich um Nachbarn zu kümmern. Dann ist die 34-Jährige zum Treffpunkt der Freiwilligen-Agentur an der Langenbergstraße gegangen, wo man sie gerne dem neuen Quartiersteam vermittelt hat. Alex Navasartian Hevani (22) hat es genauso gemacht. Er studiert in Enschede Psychologie und absolvierte ein nicht sehr zeitintensives Semester. Achtsamkeit ist ihm sehr wichtig, und das könnte in ein interessantes Projekt im Quartier einfließen. Latifa Rezk Almasri ist vor vier Jahren aus Syrien nach Bocholt gekommen. Die Mutter von vier Schulkindern, die als Universitätsdozentin Arabisch gelehrt hat, möchte gemeinsam mit Einheimischen „versuchen zu helfen“. Und Hildegard Jochmann, die seit 30 Jahren nicht weit vom an der Saarstraße gelegenen Quartiershaus wohnt, hat im Stadtteiltreff an der Dortmunder Straße erlebt, wie gut es tut, zu erzählen und zuzuhören – älteren Menschen aber auch ihr selbst. Sie spürt deren Freude und hat selbst Spaß: „Wenn die von früher erzählen, komme ich mir so jung vor“, sagt sie und lacht.
Sie alle werden wie ihre Kolleginnen und Kollegen der Friedhofssiedlung für ihre neue Aufgabe geschult und auch danach durch den Verein L-i-A betreut. Wichtig wird auch der Kontakt und Austausch untereinander sein, um sich abzusprechen, gegenseitig zu stützen und Spaß zu haben.
Es gibt noch viele Möglichkeiten und viel zu tun in den Quartieren – bis hin zum neu entstehenden Weber-Quartier. Das gilt nicht nur für Senioren, sondern auch für junge Leute, für Familien ebenso wie Alleinstehende, für Berufstätige ebenso wie Rentner, für Gebürtige ebenso wie Zugezogene. Gemeinschaft eben. – jf –