„Man kann nicht einfach zusehen, da muss man etwas tun!“ Das war die Reaktion von Mario Nienkemper, als Ende Februar 2022 im Fernsehen Bilder der fliehenden Menschen an der Grenze zwischen der Ukraine und Polen gesendet wurden. Und er schritt zur Tat.
Die verzweifelten Gesichter der Menschen, ihre Angst, das Wenige, das sie hatten mitnehmen können, erschütterten den Mussumer. „Das kann doch nicht wahr sein!“ Dieser Gedanke wurde schnell zu dem Entschluss: „Da muss ich helfen!“ Mario Nienkemper (immer erkennbar an seinem Lederhut) ist ein Mann der Tat, er fackelt nicht lange, sucht Möglichkeiten und findet sie. Schon seit langer Zeit arbeitet er als Projektleiter bei der niederländischen Firma Ten Brinke mit Niederlassung in Doetinchem. Dort ist er zuständig für technische Bereiche, betreut Projekte in ganz NRW. Somit macht es ihm nichts aus, lange Strecken mit dem Auto zurückzulegen.
Mit einem VW-Tiguan, den er mit Lebensmitteln, wärmender Kleidung und anderen bei Freunden, Bekannten und Nachbarn gesammelten Hilfsgütern, vollpackte, machte er sich am 4. März 2022 auf den Weg zur polnisch-ukrainischen Grenze, zu einem kleinen Ort namens Przemysl. Dort lud er an einem alten Möbelhaus, das für eingehende Spenden bereitgestellt worden war, die mitgebrachten Dinge aus, fuhr weiter bis zum Grenzbahnhof (größenmäßig vergleichbar mit dem Weseler Bahnhof), um angekommene ukrainische Flüchtlinge mit seinem Bus zu einer Sammelstelle zu bringen. Er war froh, feststellen zu können, dass die Polen sich wirklich gut um die Geflüchteten kümmerten, es wirkte fast professionell. Busse brachten die Menschen vom Bahnhof zu den Sammelstellen; auch dort lief alles sehr organisiert ab.
Nach dem Hilfstransport ist vor dem Hilfstransport
Mario musste natürlich wieder nach Bocholt, zu seiner Familie, an seine Arbeit. Zurück blieb die Frage: „Wie kann ich weitermachen?“ Ihm war klar, dass auch zukünftig dringend Hilfe benötigt würde. Recherchen führten Mario zu „Oldenburg hilft“, wo er den Ukrainer Wlodomir und seine Frau kennenlernte. Zusammen mit ihnen erstellte er eine Liste mit den Dingen, die ganz dringend benötigt wurden. Wlodomir kehrte in die Ukraine zurück, um vor Ort die ankommenden Hilfstransporte zu koordinieren. Die ersten zwei Hilfstransporte hat Mario dann für Wlodomir ausgeführt. Marios Chef von der Firma Ten Brinke stellte einen Mercedes Sprinter zur Verfügung, hinzu kam der VW-Bus. Der Chef bezahlte auch den Sprit und die Übernachtung in den Unterkünften. Alle Achtung!
Mittlerweile hat Mario Nienkemper viele Unterstützer, seine Aktionen unter dem Titel „Mario hilft“ sind weit über unseren Raum hinaus bekannt. Spenden kommen von Ahaus bis Xanten, von Doetinchem und Varseveld, selbst aus Brandenburg und vom Bodensee. So hat z.B. die Feuerwehr aus Isselburg mehrere Sätze gebrauchter Schutzausrüstung für die Feuerwehr in Dnipro. Vom Hof Wolbrink in Mussum kamen schon zweimal je 2 Tonnen Kartoffeln. Es wird Material für die Versorgung Kranker und Verletzter gespendet. Pakete und Päckchen mit Hygieneartikeln werden gebracht, ebenso haltbare Lebensmittel, Schlafsäcke, Thermomatten und vieles mehr. Und bei jeder Fahrt sind kleine Taschen mit Spielzeug und Süßigkeiten für Kinder dabei.
Es gibt kleine Sammelstellen in Vreden, Isselburg und Xanten. Die dort gestapelten Hilfsgüter müssen nach Mussum geholt werden. Im eigenen Lager werden sie sortiert, in Kartons gepackt, diese werden beschriftet und gewogen. Das Verpacken macht Mario selber, damit er genau weiß, was in jedem Karton drin ist. Das jeweilige Gewicht muss vermerkt werden. Kein Karton soll mehr als 20 Kilogramm wiegen. Zollpapiere und Lieferscheine müssen ausgefüllt werden. Zusammen mit den Papieren und den bepackten Wagen geht es zum hiesigen Zollamt, wo alles auf Richtigkeit überprüft und dann die Papiere gegenzeichnet werden. Das erleichtert die Einreise, bedeutet freilich auch doppeltes Packen, da das Vorstellen beim Zoll gut vierzehn Tage vor der Abfahrt erfolgt. Die von der Firma Ten Brinke aus Doetinchem sowie der Firma Elan aus Varsseveld zur Verfügung gestellten Sprinter werden bis zum Termin des Hilfstransportes für ihre eigentliche Bestimmung benötigt.
Um die Firmen oder Privatpersonen, die die Transportfahrzeuge zur Verfügung stellen, nicht zu sehr mit dem Ausfall ihrer Wagen zu belasten, werden die Hilfstransporte in für sie günstigen Zeiten durchgeführt. Darunter fallen die Karwoche und auch die letzte Dezemberwoche mit den Weihnachtstagen bis Silvester.
So laufen die Transporte
Für eine Strecke bis kurz hinter die polnisch-ukrainische Grenze, nach Lwiw, müssen gut 1600 Kilimeter zurückgelegt werden. Es fahren immer zwei bis drei Züge, die aus Sprintern mit großen Anhängern bestehen. So hat z.B. auch ein Geschäftsmann aus Rhede seinen Sprinter für die Fahrt in die Ukraine zur Verfügung gestellt und ist selber mitgefahren. Jedes Fahrzeug ist mit zwei Personen besetzt. In Lwiw werden Mario und seine Crew von Antonia, Vadym und Pater Alexander empfangen, seinen neuen Kontaktpersonen, da Wlodomir zum Militär eingezogen wurde. Unter den wachsamen Augen von Antonia und Vadym werden die Hilfsgüter auf einen LKW umgepackt, der alles an seinen Bestimmungsort in der Ostukraine bringen wird.
Nicht immer läuft alles reibungslos. Auf die Warteschlangen und das meist stundenlange Stehen vor der Grenze sind alle eingestellt. Doch es passiert auch Unvorhergesehenes. Seit der Reifenpanne bei einer Fahrt, die nicht behoben werden konnte, wird grundsätzlich für jedes Fahrzeug ein Ersatzreifen mitgeführt. Beim Transport im Juli 2023 waren die Papiere eines Anhängers nicht korrekt, sodass dieser nicht über die Grenze durfte. Also musste alles unter den Augen einer ruppigen Zollbeamtin ausgepackt und auf die anderen Fahrzeuge verteilt werden. Eine harte Arbeit – darum die Obergrenze von 20 Kilogramm für jeden Karton.
Kein Opfer – ein Erlebnis
Mario und seine Mitstreiter stellen ihre Freizeit in den Dienst der von ihnen selbst gestellten Aufgabe. Auf die Frage, wieso er seine Urlaubstage opfere, schüttelt Mario den Kopf. Er formuliert deutlich, dass er das Wort „Opfer“ in diesem Zusammenhang als gänzlich unpassend empfindet. „Andere fahren in den Urlaub, für mich sind diese Fahrten ein besonderes Erlebnis. Mir tut die Freude gut, die ich erlebe, wenn wir mit unseren Sachen ankommen.“
Zwischen Mario, seinen Mitfahrern und den Helfern vor Ort hat sich ein Band der Freundschaft entwickelt. Als Dank werden sie zu gemeinsamen Abendessen eingeladen. Mario formuliert: „Diese wunderbaren Abende werden wir nicht so schnell vergessen, vor allem wegen der vielen schönen Worte, dem gemeinsamen Singen, dem Austausch von kleinen Geschenken.“ Eine ganz besondere Aufmerksamkeit ist ein Gemälde mit dem treuen Begleiter, dem Sprinter von der Firma Elan, das Mario von Vadym überreicht wurde.
Wer Mario Nienkemper bei seinen Aktionen unterstützen möchte, wendet sich unter mariohilft@t-online.de direkt an ihn selber. „Jede noch so kleine Hilfe ist willkommen.“Der siebte Hilfstransport wird am 1. Mai starten. – ah –