Unter dem Motto „Einfach mal durchatmen“ fand am 20. April 2023 die jährliche Mitgliederversammlung des Netzwerkes engagiertestadt Bocholt statt.
Das Heimathaus in Mussum stellte seine Räumlichkeiten für die diesjährige Versammlung zur Verfügung. Rund 40 Vertreter des Netzwerkes waren der Einladung gefolgt. Die anheimelnde Atmosphäre dieses alten Gebäudes passte gut zum Motto des Treffens. Schon vor dem offiziellen Beginn fanden sich kleine Gruppen der geladenen Mitglieder und Gäste zu angeregten Gesprächen zusammen. Und zur Überraschung aller wurde dann die Versammlung durch den ersten Überraschungsgast, den Bocholter Nachtwächter, stimmgewaltig eröffnet.
Wurzeln im Mittelalter
Florian Sauret, der seit Jahren viele Einheimische und Touristen durch das mittelalterliche Bocholt führt, ist vermutlich für die meisten Bocholter eine vertraute Erscheinung. An diesem Abend ging es jedoch nicht darum, Stätten des frühen Bocholt aufzusuchen, vielmehr erläuterte der Nachtwächter an verschiedenen Beispielen den Ursprung des Ehrenamtes. Neben den familiären Bindungen stellten bereits damals die Nachbarschaften das kleinste soziale Gefüge dar. Ging es darum, dass ein neuer „Schopfbrunnen“ gebuddelt werden musste, da der alte versiegt war, oder die Geburt eines neuen Erdenbürgers gebührend gefeiert werden konnte mit dem sogenannten „Kind pinkeln“, die Nachbarn waren zur Stelle.
Auch die Toten wurden nicht alleine gelassen, junge Burschen aus der Nachbarschaft hielten drei Nächte lang Wache am Totenbett, freilich mit reichlich Bier und Schnaps zur Unterstützung.
Mehr als genug des in Bocholt selbst gebrauten Biers und gebrannten Schnaps gab es auch bei Hochzeiten. Florian Sauret erzählt, dass die ausufernden „Brautgelage“ die Stadträte dazu veranlasst hätten, drei wesentliche Gesetze aufzustellen: 1. Wer darf eingeladen werden? 2. Wie viel darf jeder Gast essen? 3. Welchen Wert muss ein Geschenk haben?
Hinter den Gesetzen stand der Gedanke, die Brautleute nicht gleich am Anfang im Ruin landen zu lassen.
Was wird heute geleistet?
Die Nachbarschaftshilfe sei auch heute noch ein Eckpfeiler der ehrenamtlichen Hilfe, greift Veronika Kampshoff, eine der Sprecherinnen des Netzwerks engagiertestadt Bocholt, die Ausführungen des Nachtwächters auf. Doch darüber hinaus seien viele Vereine und Organisationen auf das Engagement Freiwilliger angewiesen, um im erstrebenswerten Maße aktiv sein zu können. In der Pandemiezeit sei Vieles eingeschränkt gewesen, dennoch hätte Einiges umgesetzt werden können.
Agnes Welkamp (L-i-A) und Rainer Howestädt (Freiwilligen-Agentur Bocholt), ebenfalls Mitglieder im Netzwerkteam, weisen auf ein paar Erfolgsmodelle der letzten Jahre hin, wie der Sozialführerschein, der im Rahmen des MAD-Kurses des Berufskollegs am Wasserturm angeboten wird. Sehr erfreulich sei vor allem, dass vermehrt auch junge Menschen sich außerhalb der Schule, Ausbildung oder ihres Berufs ehrenamtlich betätigen. So haben im November 2022 insgesamt 34 Schülerinnen und Schüler bei der Organisation eines Benefiz-Konzertes in Dinxperlo tatkräftig an zwei Nachmittagen und Abenden mitgeholfen. Viele von ihnen wollen auch wieder dabei sein, wenn erneut ein Konzert für die Stiftung WensAmbulance stattfinden wird. Die Erträge des Konzertes werden herangezogen, um schwer- und todkranken Menschen Wünsche zu erfüllen.
Das Netzwerk arbeitet mit 300 Vereinen und Organisationen zusammen, bietet Fortbildungen und Qualifizierungen an, wie das Seminar für Lesepaten in Kitas, Grundschulen und Pflegeeinrichtungen. Nicht ganz ohne Stolz weist Howestädt darauf hin, dass Bocholt mit seinem belastbaren Netzwerk als eine Art Vorzeigestadt fungiert. Bielefeld, Bottrop und Gütersloh sind sogenannte Tandemstädte, die in ihrer Aufbauarbeit als engagierte Stadt durch Bocholt unterstützt werden.
Änne – eine Bocholter Kultfigur
Bevor die Anwesenden dann die neue Lenkungsgruppe für die folgenden zwei Jahre wählten, kündigte sich die zweite Überraschung des Abends über die Lautsprecher an. „Änne“ betrat den Saal und nahm auf ihre liebevolle Art im Bokeltsen Platt das Thema Digitalisierung auf dem Arm, indem sie mit einigen Teilnehmern quer durch den Saal per „Dosen-Telefon“ deren Platt-Kenntnisse abfragte. Und mit einer mit Hilfe einer Unterprinte während des Auftrittes schnell selbstgebastelten Steinschleuder („kennt dat noch ümmes?“) übte Änne schelmisch Druck auf einige Mitglieder aus, sich ja in die Lenkungsgruppe wählen zu lassen. Lachend gaben dann auch die jeweils Angesprochenen nach.
Blick nach vorn
Zur Freude aller trat noch während der Veranstaltung auch der SkF (Sozialdienst katholischer Frauen e.V.) dem Netzwerk bei. Und eine zweite schöne Nachricht konnte verkündet werden: Auch ein so engagiertes Netzwerk wie das in Bocholt braucht Unterstützung. Finanzielle Hilfe leisten die Stadtsparkasse und die Volksbank, deren anwesenden Vertretern ein dickes Dankeschön überbracht wird. „Engagierte Stadt sind wir alle“ (Rainer Howestädt), und so trägt jeder seinen Teil dazu bei, Bocholt als lebenswerte Stadt zu erhalten und auszubauen. Und so wurde im Anschluss an die Versammlung noch lange am Buffet genetzwerkt, diskutiert und sich ausgetauscht. -ah-