Alpenverein in Bocholt? 25 Meter über dem Meeresspiegel? Ja, den gibt es! Dort geht es permanent aufwärts.
Nun gut, der Rodelberg. Aber reicht das aus für einen Alpenverein in Bocholt? Den Verein gibt es – ganz unabhängig davon. Seit 39 Jahren schon. Und er zählt an die 1400 Mitglieder. Was vereint so viele Bergfreunde im flachen Westmünsterland?
Genau genommen sind sie ein Teil eines großen Vereinsmassivs, das schon 1869 – natürlich in Alpennähe – entstand. Wenn der Berg ruft, schallt es bis weit hinein in die Täler, sogar bis ins Preußische. Deutschlandweit entstanden knapp 360 „Untervereine“, sogenannte Sektionen, mit zusammen 1,3 Millionen Mitgliedern. Eine davon 1980 in Bocholt.
Ein anfangs leicht elitäres Klübchen von Wandervögeln und Gebirgsgängern wuchs unter anderem durch VHS-Kurse rasch auf etwa 30 Personen an. Geselligkeit und gemeinsame Reisen in die Bergwelt waren Programm. Sich der großen Familie des Alpenvereins mit zentralem Sitz in München anzuschließen brachte Vorteile: den Zugang zu Hütten und Versicherungsleistungen.
Und dann ging’s immer steiler bergauf. Eine Wander- und eine Skigruppe entstanden, und es wurden sogar Hochtouren absolviert. Ein Vereinsheim wurde an der Schwanenstraße gebaut. Zum Trainieren errichteten die Vereinsmitglieder mit Hilfe eines Schlossers und gebrauchter Griff- und Tritt-Elemente eine Kletterwand.
Gegen die Angst und für den Kick
Klettern bedeutet Selbsterfahrung, Austesten von Leistungsvermögen und Grenzen, Angstüberwindung – in extremer Form bis hin zum Free climbing. Mit der verbreiteten Suche nach einem speziellen Erlebnis und einem besonderen „Kick“ gesellte sich zur Bewegung in der Natur, zum Wandern und Bergsteigen, das Klettern als Sport, das davon unabhängig betrieben werden kann – an künstlichen Objekten, oftmals in großen Hallen. Der Trend bescherte dem Alpenverein neue, überwiegend junge Mitglieder und neue Aufgaben. Zu Wander-, Kletter-, Hochtouren-, Ski-, Fahrrad-, Senioren- oder Handicap-Gruppen kommen diejenigen hinzu, die im Leistungskader trainieren. Eine von ihnen ist die 13-jährige Linnea Vriesen, die auf dem Foto mit ihrer Trainerin Vera Osabutey zu sehen ist. Sie und ihre drei Jahre jüngere Vereinskameradin Jule Peltzer haben sich bei Wettkämpfen im Bouldern, dem Klettern ohne Seil und Gurt in Absprunghöhe, regional mehrfach ganz vorne platziert.
Das Klettern ist zum Familien-Erlebnis geworden. Sonntagsvormittags tummeln sich manchmal 50 große und kleine Kletterer in der Euregio-Halle. Daneben zählen auch Kanu-Touren oder Geocaching zum Programm der Familiengruppe. „Fitte Eltern mit Kindern“, so Hermann Altenbeck, einer von drei Vorsitzenden des Vereins, sind zwei- bis dreimal die Woche „in der Wand“, die nicht aus Felsen besteht, aber wie der Berg herausfordernd ist. Mut, körperliche und geistige Beweglichkeit, Koordinationsvermögen, Schwindelfreiheit, Geduld, Disziplin, Vertrauen in Mitkletterer, die einen sichern – die Anforderungen sind vielfältig. Separate Gruppen für Jugendliche und für Kinder ab acht Jahren gibt es. Und immer mehr Frauen so etwa Mitte 40, die neue „Aufstiegsmöglichkeiten“ suchen und finden. Der Frauenanteil unter den Mitgliedern beträgt insgesamt knapp 40 Prozent.
Naturerlebnis und Wettkampf
Hermann Altenbeck wurde in den 1980er Jahren in den Anden in Ecuador vom Bergfieber gepackt, das Reinhold Messner weiter steigerte. In ihm sträubt sich etwas dagegen, dass heute Bergsteigen und Leistungssport zusammengehören sollen, aber natürlich nimmt der Verein solche Entwicklungen auf. Immerhin rund 70 Prozent der Mitglieder, von denen die eine Hälfte aus Bocholt, die andere aus dem Umland bis in die Niederlande kommt, sind „Bergfreunde“. Sie planen ihre Touren mit allem Drum und Dran bis hin zur Versicherung und stimmen sie mit dem Vorstand ab. Abzustimmen ist auch der Einsatz der ebenso wie die Vorstandsmitglieder ehrenamtlich aktiven Übungsleiter, deren Schützlinge an verschiedenen Orten um Medaillen klettern.
Und Weitblick gehört dazu. In zwei Jahren etwa, schätzt Hermann Altenbeck, wird am jetzigen Standort des Vereins die bestehende Sporthalle abgerissen, um eine neue Dreifachsporthalle zu bauen. Dann wird man dort weichen müssen. Da ist es wichtig, sich rechtzeitig um was Neues zu kümmern. Wie es aussieht, könnte das am Hünting sein. Die angedachte 18 Meter hohe, innen wie außen zu nutzende Kletterhalle nebst neuem Vereinsheim würden die Attraktivität des dortigen Sportareals weiter erhöhen. Und vonwegen Alpenverein: Bad Aibling, Freilassing, Ruhpolding, Schleching – Hünting, das passt schon, oder? – jf –