Von der Begegnung zweier engagierter Menschen auf einer Fahrt zum Impfen.
Ingrid van Aalst ist eine patente Frau. Sie hat einen Impf-Termin in Velen, sieht nach, welcher Bus fährt, telefoniert, erfährt, dass sie zusätzlich einen Taxi-Dienst benötigt, ruft auch den an, und als sie eine Absage erhält, beim Kreis Borken. Dort hat ein freundlicher Herr einen Tipp für sie: die Freiwilligen-Agentur und die Coronahilfe in Bocholt. Und so steht dann Michael Hesselmann vor ihrer Tür. Einer der hilfsbereiten Bocholterinnen und Bocholter, die Impf-Fahrten durchführen – kostenlos, einfach so.
Es ist kalt, zu Corona hat sich in Bocholt der Winter gesellt, wie man ihn kaum noch kannte. Der Schnee liegt hoch, als die beiden sich auf die Reise machen. Vorsichtshalber mit einem Zeitpuffer, den sie nutzen, indem sie erzählen. Michael Hesselmann berichtet von seinem Engagement bei der Freiwilligen-Agentur und beim Weißen Ring, der sich um Opfer von Gewalt und Kriminalität kümmert. Und Ingrid van Aalst erzählt während der Fahrt durch die münsterländische Winterlandschaft von ihrer Schule in Afrika.
Am Anfang ein Kulturschock
Ihre Geschichte beginnt vor 15 Jahren. Annemarie Klocke aus Dingden hatte sie als gerade pensionierte Französischlehrerin und ehrenamtliche Übersetzerin nach Togo mitgenommen. Dort baute die von der Dingdenerin gegründete Initiative „Togo – Neuer Horizont“ eine Krankenstation. Ingrid van Aalst erlebte einen Kulturschock, wie sie sagt. Nach dem Elend, das sie gesehen habe, habe sie nicht erneut in das kleine westafrikanische Land gewollt. Mittlerweile war sie schon 25 Mal dort.
„Die Kinder gingen mir nicht aus dem Kopf“, erzählt sie von der Zeit nach ihrer ersten Reise. Sie hatte diese Kinder in Togo erlebt, im Dorf Agbétiko, das sie durch einen Zollbeamten kennengelernt hatte. Sie hatte gespürt, so sagt sie, welches Entwicklungspotenzial in ihnen steckte und erfahren, dass fünf Euro Schulgeld jährlich einen Schulbesuch verhinderten. Noch im selben Jahr war Ingrid van Aalst wieder vor Ort. Mit dem Entschluss: „Ich will hier eine Schule bauen.“
Dazu habe sie sich verpflichtet gefühlt, denn alles, was man brauchte, habe auf sie zugetroffen: „Ich hatte Französischkenntnisse, ein finanzielles Auskommen, ein ausgesprochenes Helfersyndrom und ein kleines bisschen Abenteuerlust.“ Ohne Erfahrung, aber mutig und zielstrebig gründete sie den Verein Child Care Afrika, der inzwischen rund 20 Mitglieder zählt.
Eine stille Gemeinschaft
Bau und Unterhalt einer Schule kosten Geld. Ingrid van Aalst brauchte Unterstützer. Sie fand sie, und wie das kam, ist wieder eine eigene Geschichte, die sie erzählt. Eine Geschichte von zufälligen Begegnungen, unverhofften Reaktionen und sich auftuenden vielfältigen Kontakten und Verbindungen, durch die der eine den anderen mit ins Boot holte. Quasi eine Hintergrundgeschichte stiller Gemeinschaft. Der Singer/Songwriter Lou Dynia gab ein Benefizkonzert für das Togo-Projekt. „Stimmt“, erinnert sich Michael Hesselmann während der Autofahrt, „da war ich auch dabei.“
„Die Lehrer sind gut“, sagt sie. Mit den Erwachsenen vor Ort zusammenzuarbeiten, hat sie im Laufe der Zeit gelernt. Es ist ein so ganz anderes Leben hier, eine andere Orientierung als wir sie kennen. Nach vorherigen Problemen mit Korruption ist es ihr gelungen, vor Ort einen eigenen Partnerverein zu gründen, dessen Mitglieder sie und ihre Arbeit unterstützen.
Wenn Ingrid van Aalst dort ist, wohnt sie, die „Mutter von Agbétiko“, in der „Villa Stell“, einem kleinen Haus, das sie nach ihrem ersten Bocholter Unterstützer benannt hat. „Mein Dorf ist so arm, das kann man kaum glauben“, sagt sie. „Aber inzwischen fühle ich mich da wohl.“ Wenn sie gefragt wird, ob sie sich nicht mal erholen wolle, antwortet sie, das sei ihr Urlaub.
Blick nach vorn
Oft sitzen einige der 160 Schulkinder auf dem Platz vor diesem Haus. „Sie müssten das mal sehen“, sagt sie, „wenn die angerannt kommen, wenn die Sie anstrahlen mit ihren klaren Augen, ihrem offenen Blick.“ Was wird aus ihnen, wenn die sechs Jahre Grundschule vorüber sind, in denen sie gelernt haben, täglich ihr Essen bekamen, ihre Gemeinschaft hatten? Die Bevölkerung in Togo ist jung, die Arbeitslosigkeit gewaltig. Kontakte zum handwerklichen Berufsausbildungszentrum sind wichtig, und als Ingrid van Aalst in der Zeitung gelesen hat, dass der Baustoff-Konzern HeidelbergCement zwei Werke in Togo errichtet hat, hat sie gleich Kontakt aufgenommen, um ihren Schulkindern mögliche Wege für eine Perspektive zu ebnen. „Wenn man einmal drin ist in dieser Sache“, sagt sie, „liest man die Zeitung ganz anders“, mit einem anderen Blick.
Ihr Blick ist nach vorne gerichtet, auf die Zukunft der Kinder. Und deshalb will Ingrid van Aalst eine weitere Schule in Togo bauen, eine Realschule. „Ich finde das alles gar nicht so großartig wie die Leute immer meinen“, sagt sie. „Mir geht es gut, ich habe keine Zeit alt zu werden und Wehwehchen zu haben. Und mein Egoismus wird befriedigt.“ Es sei halt so gekommen. „Das Schicksal oder der liebe Gott hat mich so gemacht wie ich bin.“
Also wird sie im April wieder in den Flieger steigen. Geimpft nicht nur gegen Malaria sondern mit 80 Jahren auch gegen Covid-19. In Velen ist das ganz schnell gegangen. „Da kam sie raus und hat die Arme hochgerissen“, sagt Michael Hesselmann. „Ich freue mich einfach so“, habe sie gesagt. Die Fahrten hin und zurück, bei denen sie sich so gut unterhalten haben, seien viel zu kurz gewesen, sagt er. Also haben sie sich hinterher erneut getroffen und weiter erzählt. Vier Stunden lang. Vom Engagement hier und dort, in Bocholt und im gut 5000 Kilometer entfernten Agbétiko. Von Ehrenamt zu Ehrenamt. – jf –