Unter den Vereinen, Gruppen und Einrichtungen im Verzeichnis auf dieser Seite finden sich auch die “vergessenen Vierbeiner”. Wir wollten wissen, was es damit auf sich hat und trafen sie.
Amelie hat eine originelle Frisur und einen Wirbel auf der Nase. Und sie hört, wenn man sie ruft, auf ihren Namen. Die kleine Amelie ist zwei Jahre alt, braun-bunt und lebt auf einem Hof in Isselburg – gemeinsam mit acht anderen Rindern, zwei Schweinen, drei Kaninchen. Sie alle sind „vergessene Vierbeiner“. So heißt der Verein, der nach ihnen und ihrem Schicksal benannt ist. Seine Mitglieder und deren Unterstützer kümmern sich um die Tiere, zu denen sich auch Zweibeiner, nämlich einige Hühner und zwei Puten gesellt haben.
Zehn aktive Vereins- und 22 Fördermitglieder engagieren sich für die Tiere und gegen das, was diese und ihre Artgenossen erlebt haben oder noch erleben und was man hinter der augenscheinlichen ländlichen Idylle mit den glücklichen Kühen auf der Weide nicht gleich vermuten mag. Pauline und Noah, Thelma und Louise und wie sie sonst heißen sind vor dem Tod bewahrt worden. Für ihre Besitzer waren sie nutzlos. So wie Feline, die vor drei Jahren als Kälbchen mit kaputtem Fuß der erste Vierbeiner auf dem Hof war und dort zu einem stolzen Rind heranwuchs. Oder wie Lilly und Lea. Die beiden Schweine kamen aus einem Versuchslabor in Bayern. Schwanzwedelnd machen sie sich über ihr Kürbis-Mahl her.
Auf dem Lebenshof
Tieren helfen und ihnen „ein schönes Leben ermöglichen“ wollen die Mitglieder des Vereins, wie es auf dessen Homepage heißt. „Lebenshof“ nennen sie entsprechend den Ort, an dem sie das in die Tat umsetzen. Die Woche über versorgen die Vereinsvorsitzenden Jennifer Wölk und Tatjana Liss-Horst abwechselnd die Tiere. Jennifer Wölk fährt frühmorgens von Bocholt nach Isselburg, bevor es für sie zum Studieren nach Düsseldorf weitergeht. Tatjana Liss-Horst kommt nach der Arbeit zum Hof.
Zu tun ist eine Menge. Füttern und Ställe ausmisten sind Standard, und immer wieder gibt es neue Aufgaben wie Heu einlagern, Reparaturen oder bauliche Veränderungen. Der Landwirt, der den Hof zuvor betrieben hat, und sein Sohn helfen dem Verein mit Rat und Tat.
Marina Kienöl kümmert sich um die Buchhaltung, um Termine und Informationen in den sozialen Medien. Tierarzt-Einsätze und die Zusammenarbeit mit dem Veterinäramt sind zu regeln, regelmäßige Besuchstage für Helferinnen und Helfer sowie für Interessenten sind zu organisieren. Futter ist einzukaufen, Spenden sind zu verwalten – einzige Einnahmequelle des Vereins. „Wir kommen damit so gerade hin“, sagt Marina Kienöl (auf dem Foto oben beim Auslegen von Möhren für die Kühe). Teils tragen Vereinsmitglieder über ihren ehrenamtlichen Einsatz hinaus zur Kostendeckung bei.
Individuelle Lebewesen
Die Tiere auf dem Hof werden als Individuen mit unterschiedlichen Eigenschaften gesehen. Einzelfälle sind sie deshalb nicht, eher Stellvertreter für verbreitete Verhältnisse und Einstellungen, die die Vereinsmitglieder kritisieren. „Für uns zählt jedes Leben gleich“, sagt Marina Kienöl. Sie und die anderen, im Schnitt 30 bis 35 Jahre alt und teils auch aus der weiteren Umgebung, wenden sich folglich gegen den Speziesismus, wonach der Mensch andere Geschöpfe herabwürdigt, Tiere nach seinem Gutdünken klassifiziert und behandelt. Marina Kienöl: „Hunde und Katzen dürfen bei den Menschen wohnen und teils sogar mit ins Bett. Andere Tiere aber sind zum Essen da.“ Letztere würden zu Nutztieren degradiert und hätten keine Lobby.
Eine artgerechte Tierhaltung in den münsterländischen Ställen zu fordern und sie selbst zu praktizieren ist das Eine. Die grundsätzliche Position des Vereins geht darüber hinaus: Der Mensch darf das natürliche Dasein der Tiere nicht zu seinem Nutzen beeinträchtigen und sie nicht töten.
Viel Einsatz beim Rudern gegen einen breiten Strom, der unter anderem eine Grill-Welle mit sich führt, die trotz Tönnies und Co. nicht abebbt. Das Engagement hält unbeirrt dagegen – aus innerer Überzeugung. Wenn Amelie und die anderen Tiere auf dem Lebenshof zeigen, dass es ihnen gut geht, dann ist das für die Vereinsmitglieder und ihre Helferinnen und Helfer Bestätigung und Motivation. – jf –