Ein Dach für die Dorfgemeinschaft, ein Haus, das Geschichte bewahrt, und viel Selbstgemachtes drin und drum herum.
„Die Kirche hätte im Gewerbepark gestanden.“ Joachim Leson beschreibt ein abschreckendes Szenario. Dass es nicht dazu kam, dass stattdessen der Mussumer Kirche Maria Trösterin vis-à-vis eine große, weitgehend unbebaute und grüne Fläche für Freizeit, Begegnung und mehr entstand, das sei für den Stadtteil und seine Bewohnerinnen und Bewohner ein Segen, sagt der Vorsitzende der Dorfgemeinschaft. Die Gemeinschaft hat hier angepackt, hat sich als solche erwiesen und verwirklicht.
Die Entstehung des Mussumer Industrieparks Ende der 1970er/Anfang der 1980er Jahre war für die Entwicklung der Stadt wichtig. Aber an dieser Stelle, wo sich Pannemannstraße und Alfred-Flender-Straße kreuzen, müsse man doch die Kirche im Dorf lassen, meinten Heinrich Kruse, damals aktiver CDU-Politiker in Stadt und Land, und seine Mitstreiter. Das hieß: Der Bau von Gewerbehallen in jenem Bereich musste verhindert werden. Mit Erfolg setzten sie den ursprünglichen Plänen die Ausgestaltung eines Dorfmittelpunktes entgegen – als eine Anlaufstelle für die Mussumerinnen und Mussumer. 1989 wurde die Dorfgemeinschaft zum Verein, als eine Dachorganisation für alle Mussumer Vereine, die dort am Maibaum abzulesen sind.
Platt, Musik und Erntedank
Das Dach war da – als eine organisatorische Heimat. Aber die Gemeinschaftsidee brauchte hier, am Marienplatz, auch einen festen Ort, einen Raum mit einem materiellen Dach und mit Wänden, die es trugen – ein Heimathaus. Eine große gemeinschaftliche Aufgabe, die jede Menge Eigenleistung erforderte. Einem Münsterländer Bauernhaus nachempfunden, wurde es 1994 eröffnet. Seither wird es vielfältig genutzt. Vier Musikgruppen proben regelmäßig, Vereine tagen dort. Es finden Veranstaltungen statt wie der plattdeutsche Abend, Doppelkopfturniere, Konzerte, Aufführungen oder die Staudenbörse. Manche feiern hier ihren Geburtstag, was ab dem 70. möglich ist. Andere kommen zum Klönen und bringen sich Kaffee und Kuchen mit. Oder Teig, um im später entstandenen Backhaus Brot zu backen. Größtes Ereignis im Jahr ist der Erntedankmarkt, bei dem rund 75 Vereine und Einzelanbieter, die sämtlich irgendeinen Bezug zu Mussum haben müssen, rund um das Heimathaus allerlei Herbstliches und Handwerkliches feilbieten und schon bis zu 10 000 Besucher angelockt haben. Rund 100 Helferinnen und Helfer sind dann im Einsatz.
Der Vorstand des Dorfgemeinschaftsvereins organisiert dies alles. Er kümmert sich um die Instandhaltung des Hauses und packt immer wieder neue Aufgaben an. Er hat für Neugestaltung des Ehrenmales gesorgt, für die Nachbildung des Bömkeskreuzes und die Neuaufstellung des Hagelkreuzes, für den Bau einer Remise und des Bürgerradweges nach Wertherbruch, für dessen Verwirklichung Kassierer Leo Engenhorst eigens bis nach Berlin gefahren ist, und für die Anlegung des Kreuzweges von der Kirche bis zum Friedhof. Kontakte ausfindig machen und herstellen, Helfer koordinieren, Finanzierung sichern sind Aufgaben des Vorstands, der jeweils fünf geschäftsführende Mitglieder und Beisitzer umfasst. Das ehrenamtliche Engagement ist auch darüber hinaus groß – was Muskelkraft, Material und teils auch von den Mussumer Landwirten bereitgestelltes Gerät einschließt. Der frühere Vorsitzende Heinz Schmeink und seine Frau Gertrud pflegen den Bauerngarten am Heimathaus ebenfalls unentgeltlich.
Drinnen alte Schätze, draußen junge Hüpfer
Das Haus mit seinen knapp hundert Sitzplätzen, Kamin, alten Fußböden, Türen und Mobiliar ist zugleich das reinste Museum für bäuerlich-ländliche Lebensweise in Haus und Hof. Enorme alte Schätze hat der Verein zusammengetragen. Und draußen, auf den insgesamt rund 25 000 Quadratmetern Fläche, ist noch jede Menge mehr Platz, um sich zu treffen und zum Beispiel Boccia oder Fußball zu spielen. Obstbäume gibt es dort auch und einen Kinderspielplatz.
„Wir machen das alles in Selbstverwaltung ohne einen Cent von der Stadt“, sagt Joachim Leson. Dass das funktioniert, erstaunt lediglich in der Hinsicht, dass die 420 Mitglieder, die teils auch in anderen Bocholter Stadtteilen und Orten bis hin nach Düsseldorf wohnen, gerade mal sechs Euro Jahresbeitrag zahlen. Das decke die anfallenden Ausgaben, so Leo Engenhorst.
Homepage und Brunnen
Er bastelt an der neuen Internetseite der Dorfgemeinschaft. Und gerade entsteht noch etwas Neues: ein lang ersehnter Brunnen vor dem Heimathaus. In dieses Projekt fließt das Geld, mit dem der Heimatpreis dotiert war, der dem Verein im Rahmen der Ehrenamtsgala jüngst verliehen wurde. Unter anderen Erich Kempkes, Leo Engenhorst und Gerd Wiesmann (auf dem Foto oben von links) haben fleißig daran gearbeitet. Anfang des neuen Jahres, je nachdem wie das Wetter mitspielt, soll der Brunnen fertig sein.
„Heimat ist wo ich mich zuhause fühle“, sagt Joachim Leson, und das Heimathaus und die Anlage drumherum seien dafür der Identifikationspunkt, um den manches andere Dorf die Mussumer beneide. Er fände es schön, wenn es hier noch einen Wochenmarkt gäbe. Der würde auch zur Zielsetzung des Vereins beitragen, die Kommunikation zu fördern. Ein Versuch, einen solchen zu etablieren, ist angesichts zu geringer Nachfrage gescheitert. Zum Einkaufen fahren die Mussumerinnen und Mussumer halt vielfach in die Innenstadt. Dann tragen sie ein Bekenntnis sichtbar bei sich: Ganz im Anti-Plastik-Trend stattet der Dorfgemeinschaftsverein sie mit Leinentaschen aus – mit der Aufschrift „Mussum meine Heimat“. – jf –