Sich für andere einzusetzen – das macht auch was mit einem selbst. Helin Arslan hat das als Schülerin erfahren und daraufhin ihr Berufsziel prompt geändert.
Wie jede Schülerin und jeder Schüler des Berufskollegs am Wasserturm musste sich Helin Arslan zu Beginn des Schuljahres 2019/20 mit Eintritt in die Oberstufe für ein Wahlpflichtfach entscheiden. Unter den zur Auswahl stehenden Fächern und Fachkombinationen gab es etwas ganz Besonderes: einen MAD-Kurs. MAD steht als Abkürzung für make a difference. Was damit gemeint ist und die mit dem Fach verbundenen Aufgaben und Möglichkeiten stellten die beiden Lehrer Miriam Pietzka und Maik Stevens so anschaulich dar, dass Helin sich sofort angesprochen fühlte. „Dies ist kein typischer Kurs, in dem Unterrichtsstoff gelehrt wird und bearbeitet werden muss, hier geht es um persönlichen Einsatz“ – das war ihr Eindruck. Ein weiterer Anreiz war der Sozialführerschein, der durch den Kurs erworben werden konnte (und über den Miriam Pietzka und Maik Stevens in dieser Rubrik „Porträts & Storys“ kürzlich berichtet haben).
Unterstützung bieten
Wie die anderen Schülerinnen und Schüler des Kurses durfte Helin aus einer Palette ehrenamtlicher Einsatzstellen auswählen. Sie entschied sich für die Bocholter Tafel, weil sie sich „etwas Konkretes darunter vorstellen“ konnte. Sie kennt einige Leute, die dort einkaufen, da deren finanzielle Mittel mehr als knapp bemessen und sie auf Unterstützung angewiesen sind. Helin wollte helfen, wollte aktiv etwas für andere Menschen tun. „In meinem ehemaligen Heimatland, der Türkei, ist der Familien- und Freundeszusammenhalt viel enger als hier in Deutschland. Dort ist es eine Selbstverständlichkeit, dass man sich gegenseitig unter die Arme greift, wenn Not herrscht“, sagt sie zu ihrer Motivation, eine solche Einstellung auch hier zu fördern.
Jeden Montagnachmittag arbeitete Helin vier Stunden im Tafel-Laden, erledigte dort die unterschiedlichsten Aufgaben, über die wir in dieser Rubrik vor einiger Zeit berichtet haben. Am schönsten fand sie es, wenn sie die Leute bedienen konnte. Fast alle waren einfach nur dankbar, dass sie sich mit dem Nötigsten versorgen konnten. Wenn Helin von ihrer Arbeit erzählt, kommt sie fast ins Schwärmen: Sie habe sich von Anfang an wohlgefühlt, angenommen – von den Kunden genauso wie von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sich bei der Tafel oft schon lange ehrenamtlich einsetzen. So, wie sie es während der Kurs-Phase selbst auch tat.
Über das Soll hinaus
Wie kürzlich im Zusammenhang mit dem Sozialführerschein geschildert, müssen die Schülerinnen und Schüler innerhalb eines Schuljahres 50 Stunden ehrenamtlichen Engagements absolvieren. Helin hat weitaus mehr Stunden im Bocholter Tafel-Laden verbracht, es kommen wohl um die 100 zusammen. Die unterschiedlichen Begegnungen dort haben sie geprägt. „Man muss und möchte mit allen klarkommen, man ist quasi eine Art Kontaktperson für die, die mit einem Berechtigungsschein im Tafel-Laden einkaufen. Wichtig ist gegenseitiger Respekt, gegenseitige Akzeptanz“, hat sie festgestellt.
Obwohl Helin als damals 17-jährige Schülerin manchmal klare Worte finden musste, um deutlich zu machen, dass es bestimmte Regeln beim Einkaufen gibt, blickt sie auf kein negatives Erlebnis zurück. Wenn mal jemand unwirsch reagierte, dann hatte sie Verständnis dafür: „Ich glaube, wenn ich in deren Situation wäre, würde ich auch manchmal pampig sein.“
Besondere Erinnerungen verknüpft Helin mit der Weihnachtszeit im Laden. Schon vor dem Fest hätten sie und ihre Kolleginnen und Kollegen kleine Geschenke für die Kinder zusammengestellt, je nach Alter und Geschlecht. Ende Dezember, Anfang Januar wurden diese dann an die Mädchen und Jungen verteilt. Die leuchtenden Augen der Kinder waren für alle Mitarbeiter im Laden wie ein nachträgliches Weihnachtsgeschenk. Ein kleines Erlebnis ist Helin lebhaft in Erinnerung geblieben: Sie hatte einem älteren Ehepaar beim Tragen der Einkaufstüten geholfen. Das Paar bedankte sich überschwänglich und sagte, dass es Helin in seine Gebete einschließen werde.
Unerwartetes Dankeschön
Immer wieder betont Helin, wie stark sie durch ihre Familie, insbesondere durch ihren Vater geprägt worden ist. Er habe sie bei allen Vorhaben unterstützt, sie darin bestärkt, sich sozial zu engagieren. Mit ihm könne sie über ihre Pläne jederzeit reden. Überaus stolz und glücklich war er, als seine Tochter bei der Zeugnisübergabe ein Schreiben des Bürgermeisters überreicht bekam, in dem dieser sich im Namen der Stadt Bocholt für ihr großes ehrenamtliches Engagement bedankte. Helin hatte im Vorfeld nichts von diesem persönlichen Brief gewusst und sagt, dass sie fast „geschockt“ gewesen sei über die Wertschätzung seitens der Stadt. Aber natürlich hat sie sich riesig darüber gefreut.
Rückblickend sagt Helin: „Ich finde, es war eine sehr schöne Zeit bei der Bocholter Tafel.“ Eine Zeit, die sie nachhaltig geprägt hat. Mit dem Ende der Schulzeit am Berufskolleg am Wasserturm war für sie nicht das Ende ihres sozialen Engagements erreicht. Eigentlich wollte sie nach dem Fachabitur Wirtschaftslehre studieren. Dann aber hat sie sich in den Monaten zwischen Schulende und Ausbildungsbeginn um ältere Menschen gekümmert. Und seit August befindet sie sich in einer dreijährigen Ausbildung zur Generalistin. Die drei bisherigen Berufsbilder Altenpflege, Gesundheits- und Krankenpflege sowie Gesundheits- und Kinderkrankenpflege fließen in dieser generalistischen Ausbildung zusammen. Helin ist sich sicher, dass sie ihren Weg gefunden hat. Jeder, der diese selbstbewusste junge Frau kennenlernt, ist davon überzeugt.
Die Erfahrungen im Rahmen des MAD-Kurses und des Erwerbs des Sozialführerscheins haben einen Grundstein für Helins Entwicklung gelegt. Um anderen Schülerinnen und Schülern einen Eindruck zu vermitteln, welche positiven persönlichen Auswirkungen ein solches Engagement für einen mit sich bringt, hat sie ein Video über ihren Einsatz bei der Bocholter Tafel gedreht, das man per YouTube sehen kann. – ah –