Schon im Frühjahr vergangenen Jahres wollte Dürrenmatts „Alte Dame“ Bocholt mit ihrem Besuch beehren. Mit Elan habe ich mich mit meinem Team in die Vorbereitungen gestürzt. Aber dann…
Mitglied werden bei der Altentheatergruppe „Die Spätzünder“ war mein erstes ehrenamtliches Engagement. Jahrzehntelang hatte ich mich vor Gruppen von Heranwachsenden immer wieder zur „Schau“ gestellt, nun wollte ich endlich richtig schauspielern. Die Schnupperstunde im September 2014 bei den Proben zum Stück „Aschenputtel“ bestärkte mich in meinem Wunsch. Nicht einmal die erste Rolle, die mir zugeteilt wurde, konnte mich abhalten: Ich wurde Täubchen. Meine Familie lachte herzlich, mir erschien es eher, als machte sie sich über mich lustig. „Du und ein Täubchen – das glauben wir nicht!“ Wenn ich ehrlich bin, konnte ich mich zu dem Zeitpunkt selber nur mit Mühe als Täubchen sehen. Aber gemäß der Anweisung unserer damaligen Regisseurin Sabine Wulff („Ein Schauspieler muss in alle Rollen schlüpfen können“) wurde ich tatsächlich eine ganz passable Taube.
Raus aus dem wahren Leben
Mittlerweile habe ich verschiedene – menschliche – Rollen verkörpert. Das Arbeiten in der Gruppe vermittelt ein starkes Gefühl der Zusammengehörigkeit, auch des Gebrauchtwerdens. Darüber hinaus wird das Gehirn gefordert, denn die jeweilige Rolle muss eingehend studiert, die Texte müssen auswendig gelernt werden und während der Aufführung präsent sein. In den Übungsstunden werden verschiedene Möglichkeiten der Darstellung ausprobiert, ausdiskutiert, verworfen, abgeändert oder übernommen. Es ist ein reges Miteinander.
In dieser Weise hatten wir uns auch unserem neuen Stück „Besuch der alten Dame“ von Friedrich Dürrenmatt schon ein paar Schritte weit angenähert. Dann kam die Pandemie und machte ein gemeinsames Proben in altbewährter Form unmöglich. Zunächst wurden die Termine für die Vorstellungen verschoben. Die Enttäuschung war sehr groß, denn der Auftritt vor dem Publikum sind Ziel und Höhepunkt der Theaterarbeit, verschafft dem Schauspieler beglückende Momente.
Neue Wege
Nachdem wir uns längere Zeit nicht getroffen, nur ab und an über das Telefon oder eine E-Mail miteinander kommuniziert hatten, wurde das Bedürfnis, in irgendeiner Form zusammenzukommen, immer stärker. Verschiedentlich wurde sogar die Sorge geäußert, dass man sich zu sehr aus den Augen verlieren könnte, dass der Schwung und die Spielfreude, die uns miteinander verbinden, dem Lockdown zum Opfer fallen könnten. Auch bei mir selber stellte ich fest, dass ich mich allmählich von der „alten Dame“ entfernte. Unser Textbuch, das ich mir sonst im Laufe der Woche immer wieder vorgenommen hatte, um darin zu lesen, blieb häufiger unangetastet. So konnte es nicht weitergehen!
Nun treffen wir uns seit geraumer Zeit regelmäßig über das virtuelle Video-Programm Zoom zu digitalen Proben. Wir können einander sehen und hören, aber nicht miteinander spielen. Meine ersten Versuche, meine Rolle in erster Linie sprachlich umzusetzen, kamen mir sehr stümperhaft vor. Es klang, als würde ich aus einem Buch vorlesen. Die Figur wirkte hölzern.
Ich war unzufrieden, fast ein wenig resigniert. Mangelnde stimmliche Ausdruckskraft konnte ich nicht durch Bewegungen ersetzen, das geht bei Videokonferenzen kaum. Anderen aus unserer Truppe erging es ähnlich wie mir. Doch Adriana, unter deren Regie wir uns um eine Umsetzung des Stückes bemühen, mit der wir unsere zukünftigen Zuschauer begeistern können, gibt nicht auf. „Der Text muss aus eurem Innern kommen. Schließt einfach mal die Augen und lasst euch in die literarische Welt Dürrenmatts entführen. Ihr müsst die Figuren mit eurer Stimme so interpretieren, dass sie lebendig werden und in den Köpfen der Zuschauer eine Bilderflut auslösen.“
Recht hat sie, aber ganz leicht ist das nicht. Vielleicht ist es so ähnlich, als wenn man eine Rolle für ein Hörspiel spricht. Ich übe, ich lerne – und ich steigere mich! Das motiviert. Und so arbeiten wir nun, jeder für sich und alle virtuell gemeinsam. Und so ganz langsam beginnt es ab und an zu kribbeln, in der Vorfreude, wieder auf der Bühne zu stehen, uns zu bewegen und „in echt“ unsere Dialoge zu sprechen. Und dann kann auch sie endlich ihren Auftritt haben, die Alte Dame. Im dritten Anlauf am 23. und 24. Oktober. – ah –