Aktives Engagement bringt’s – für andere, aber auch für einen selbst, weiß Jule und motiviert ihre Bocholter Mitstudierenden.
„Keine Zeit“ zu haben fängt früh an. Schon jungen Leuten geht das so, angesichts der vielen sie beschäftigenden Dinge zwischen Ausbildung und persönlicher Selbstfindung. Kann man da noch ein gesellschaftliches Engagement von ihnen erwarten? Sollte man dafür ein Pflichtjahr einführen, wie es die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer vorhat? Freiwilliges Engagement, aus Erkenntnis und Überzeugung, wäre besser. Jule Kraft hat den Versuch gemacht: Im Rahmen eines Praxissemesters bei der Stadtverwaltung hat die 22-jährige Bocholter Studentin (Foto) gemeinsam mit Mitarbeitern der Freiwilligen-Agentur überlegt, geplant und konzipiert, wie man aufklären und motivieren könnte. Bei Praxis-Einsätzen wie unter anderem beim „Marktplatz für gute Geschäfte“ hat sie Erfahrungen gesammelt – und erste positive Resonanz erfahren.
Dass junge Leute für ihre und anderer Menschen Zukunft demonstrieren und politischen Druck ausüben ist das eine. Selbst gestaltend aktiv zu werden, das andere – mit einem doppelten Effekt: im eigenen Umfeld zum gemeinschaftlichen Nutzen etwas zu bewegen und dabei auch selbst zu profitieren, nämlich vielfältige Erfahrungen zu machen – persönlich wertvoll für den Umgang mit anderen Menschen, für das eigene Weltbild und die Lebensorientierung und auch dafür, sich im Beruf zu behaupten. Die vielen alltäglichen Dinge verhindern oft, sich darüber Gedanken zu machen, und so lässt man sich nicht darauf ein, erfährt es nicht, weiß nichts davon. Dies jungen Leuten überzeugend aufzuzeigen, ist indes für sie wie auch für die Gesellschaft von großem Wert.
Wenig Infos und falsche Vorstellungen
Im April startete das von der Landesregierung geförderte Projekt „Kim macht’s – Junges Engagement in NRW“ der Landesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen in Nordrhein-Westfalen (lagfa). Eines von drei „Musterprojekten“, deren gewonnene Erfahrungen im kommenden Jahr landesweit verbreitet werden sollen, startete in Bocholt: Eine „Engagementberatung“ für Studierende am örtlichen Standort der Westfälischen Hochschule mit dem trendigen Titel „Campus meets Volunteering“. Was so simpel klingt, setzt indes ein wohldurchdachtes Konzept voraus. Einfach in die Hochschule marschieren und mit einem „Hallo, wir sind von der Freiwilligen-Agentur und möchten euch beraten“ hätte noch nicht mal Aussicht auf ein müdes Lächeln. Erfolgversprechender war da eine andere Idee: Wenn „Kim es macht“, wie der Projekttitel sagt, dann musste die fiktive Figur quasi zur leibhaftigen werden. Und so wurde Jule vorübergehend zu Kim.
Diese Rollenbesetzung hatte den großen Vorteil, dass sie selbst an der Hochschule studiert, die Einrichtung, Kommilitoninnen und Kommilitonen kennt. Und dass sie Bocholterin ist, Vereine, Gruppen, Einrichtungen einordnen kann. Dennoch waren die Voraussetzungen und die ersten Eindrücke hart: „Viele wissen gar nicht, was Engagement ist und kennen die Freiwilligen-Agentur nicht“, stellte sie fest. Es fehlt an Informationen. Und teils gibt es ganz falsche Vorstellungen. Hinzu kommt: Ein Gutteil der Studierenden kommt nicht aus Bocholt, und die meisten wohnen auch nicht hier, sondern pendeln aus dem näheren oder weiteren Umland zur Hochschule und von dort wieder nach Hause. Großenteils fehlt ihnen eine persönliche Beziehung zu dieser Stadt und ihren Menschen. Wie will man sie zu einem Engagement bewegen – an einem Ort, an dem sie nicht privat integriert sind, der ihnen insofern egal sein kann? An ihrem Arbeitsplatz in der Geschäftsstelle der Freiwilligen-Agentur an der Langenbergstraße machten sich Jule, Agentur-Leiter Rainer Howestädt und Yvonne Kleinheßling vom städtischen Fachbereich Soziales, Projektleiterin für „Kim macht´s“, Gedanken darüber.
Im November zogen sie mit einem Stand, mit selbstgebastelten Plakaten und Info-Material ins Hochschulgebäude. Die erste Aufgabe zum Thema Engagement ist und war hier eine grundsätzliche: Situation und Bedeutung darstellen, Bewusstsein schaffen. Konkreter wird es, wenn es darum geht, Möglichkeiten und Ansätze aufzuzeigen, über inhaltliche Vielfalt ebenso zu informieren wie über verschiedene Formen eines Engagements, das ja nicht wochenfüllend sein muss.
Persönlicher Nutzen
Unverzichtbar ist die Beantwortung der Frage nach dem persönlichen Nutzen, selbst wenn sie nicht auf eine finanzielle Zielsetzung ausgerichtet ist. Mit ehrenamtlicher Aktivität kann man Hobbys verknüpfen, kreativ sein, Kompetenzen erwerben, weiterentwickeln und weitergeben. Engagement macht etwas mit einem, es prägt. Und quasi ganz nebenbei wird der eigene Blickwinkel erweitert. Um das nicht nur theoretisch zu behaupten, wäre es gut, die Studierenden mit Menschen zusammenzubringen, die in dem Zusammenhang von ihren Erfahrungen berichten, meint Jule.
Ganz ohne formale Anreize geht es insgesamt aber wohl nicht. Abgesehen davon, dass sich gesellschaftliches Engagement bei Bewerbungen gut macht, so Jule, sollte die Idee vorangetrieben werden, ehrenamtlichen Einsatz zum Bestandteil eines Projektkurses im Rahmen des Studiums zu machen, für den sogenannte Credit Points vergeben werden. Am Hauptstandort der Hochschule in Gelsenkirchen gebe es das schon, und auch wenn in Bocholt kein soziales Fach studiert werden könne, sollte das möglich sein, meint die junge Bocholterin, die im sechsten Semester Betriebswirtschaft mit dem Schwerpunkt Marketing studiert. Engagement betreffe schließlich jeden.
Natürlich hat Jule dem Ehrenamt in Bocholt nicht schlagartig Dutzende Engagierter beschert. „Zu motivieren ist nicht leicht“, lautet ihr Fazit. Aber sie hat auch festgestellt: „Interesse besteht. Einige haben eigene Ideen eingebracht.“ Ein Anfang ist gemacht. Jetzt, kurz vor Weihnachten, schlüpft sie wieder aus ihrer Rolle als Kim, in der sie selbst viel über Engagement und Ehrenamt gelernt hat. Doch es geht weiter mit dem Projekt: Im neuen Jahr soll es eine neue Kim geben. – jf –