Berserker erobern Bocholt? Ganz so ist es nicht. Die Borussia Berserkers wollen nur spielen. Auch ihr Chefcoach agiert dafür ehrenamtlich.
Ein Berserker ist laut Wikipedia „ein im Rausch kämpfender Mensch, der keine Schmerzen oder Wunden wahrnimmt“. Die so benannten Wikinger-Krieger, die sich zum Ende des ersten Jahrtausends nach Christus diesen Ruf erwarben, leben bis heute zudem in einer nicht unbedingt schmeichelhaften Redewendung fort, wonach jemand „wie ein Berserker gewütet“ habe. Rund 40 „Berserker“ hat der Bocholter Sportverein Borussia in den Reihen seiner Mitglieder. Wütende, rauschhaft kämpfende Menschen? Kämpfen ja, aber sportlich, gemäß den vom Verein festgelegten eigenen Werten wie Fairplay, Respekt und Teamwork. Nach Regeln und mit Disziplin. Die Borussia Berserkers, wie sie sich nennen, spielen American Football.
Zwei “B’s” und zwei Streitäxte
Warum ein so kriegerisch klingender Name? „Wegen des doppelten B’s“, sagt Michael Ochmann: Weil der Vereinsname Borussia mit diesem Buchstaben beginne, sollte das auch für die Footballer so sein – zwecks „griffiger“ Bezeichnung, die, wie in der Sportart allgemein üblich, zudem gefährliche Stärke ausstrahlen und entsprechend beeindrucken soll. Zwei Streitäxte im Team-Emblem stehen dafür, aber das angehängte “S” relativiert das ironisierend. Der 33-Jährige ist der Gründervater der Berserker-Abteilung, die er ebenso stolz wie liebevoll „mein Baby“ nennt. Nette Bezeichnung angesichts lauter breitschultriger gepolsterter und behelmter Kerle, mit denen gemeinsam er selbst aktiv ist. Anfangs erging es ihm wie den manch anderen, die American Football lediglich aus seltenen Fernseh-Beiträgen kennen: Irgendwie faszinierte ihn das. Er probierte es aus, fand Spaß daran und gründete im Sommer 2022 beim VfL 45 die „45ers“ als Football-Abteilung. Nur ungern ließ der Verein die Truppe zu Beginn dieses Jahres zur Borussia ziehen, aber mit Verständnis, weil man ihr keinen Rasenplatz zur Verfügung stellen konnte. So wurden aus den 45ers die Berserkers.
Den Vereinswechsel mit vollzogen hat Aaron Bush, Cheftrainer oder in der Football-Sprache Head Coach. Gemeinsam mit seinen Trainer-Kollegen Peter Schaufl, der für die Defensive zuständig ist, sowie Stefan Hitpass (Offensive) hat er die Aufgabe, eine hierzulande noch wenig verbreitete Sportart zu fördern. Das ist nicht einfach ein sportlich-technischer Vorgang, sondern ein Lernprozess, der eine ungewohnte Neuorientierung beinhaltet: das Kennenlernen und Sich-Aneignen einer Spielkultur, die ganz anders ist als das, was Fußballer oder auch Handballer hier von klein auf ganz selbstverständlich mitbekommen und praktizieren.
Anderen Blickwinkel gewinnen
Für Aaron Bush gilt das quasi umgekehrt. In seiner Heimat in den USA hat der jetzt 41-Jährige sich gemeinsam mit seinem Vater Football-Spiele in Chicago angesehen, da war das Tradition. Hier in Bocholt gilt es, den derzeit 35 Aktiven grundlegend Neues zu vermitteln. Die 17- bis 44-Jährigen, die meisten Ende zwanzig, Anfang dreißig, kommen überwiegend vom hiesigen nicht vergleichbaren Fußball oder auch aus anderen Sportarten. „Sie müssen einen anderen Blickwinkel auf das Spiel gewinnen“, sagt Aaron Bush, „nicht allein auf den Ball schauen“. Es geht um Felder, Räume, Aufgaben und Formation der Spieler und deren Spielzüge. Das habe was von Schach, sagt der Cheftrainer. Rasenschach mit Anfassen hat mal jemand gewitzelt. Um das zunächst grundsätzlich zu lernen, ist viel theoretischer Unterricht nötig, der natürlich mit praktischen Übungen einhergeht. Zweimal die Woche wird trainiert, manche Spieler ergänzen das zusätzlich am Wochenende.
Als Heranwachsender in Amerika war Aaron Bush zunächst nicht aktiv mit Football in Berührung gekommen. An der Highschool gehörte dieser Sport selbstverständlich dazu. So unerfahren wie er war, sei er dort schikaniert worden, sagt er. Bis ein Trainer das beendete und damit für ihn zum Vorbild für seine eigene Trainer-Tätigkeit wurde. Zum Aufbau-Prozess, wie er es nennt, gehört auch „Education“, die Vermittlung „guter Qualitäten“, die nicht auf das rein Sportliche beschränkt ist, sondern im Sinne eines Team Spirits auch das faire Miteinander einschließt. Das war ihm zumal nach den persönlichen Erfahrungen bereits als Jugendtrainer in den USA sehr wichtig. In Amerika hat er im Gesundheitsbereich gearbeitet, und jetzt, seit gut zwei Jahren hier und mit einer Rhederin verheiratet, betreibt er eine Firma, die Dienstleistungen im medizinischen und Gesundheitsbereich anbietet. Seinen Job als Cheftrainer versieht er unentgeltlich.
Polster statt Wolfsfell
Genauso wie Tom Hoffmann, den sie alle Festus nennen. Der 43-Jährige, Fliesenhändler und Schalke-Fan, wurde beim VfL 45 vom Football-Fieber angesteckt und ist jetzt im Organisationskomitee der Berserkers als Equipment Manager für die Ausstattung der Spieler zuständig. Im Gegensatz zu den original Berserkern von einst, die als “ekstatisch schreiende Krieger in Wolfsfellen” aufgetreten sein sollen (Wikipedia), besteht eine Ausrüstung aus Trikot, Hose, Helm mit Gesichtsmaske, Nackenschutz und schützenden Pads für Brust, Schultern und Beine, Schuhen und Handschuhen. Rund 300 Euro muss und bis zu 1000 Euro kann man dafür ausgeben. Beginnern, die erst in die Sportart reinschnuppern, stellt der Verein das nötige Zubehör zur Verfügung.
Zehn Leute umfasst das ehrenamtlich tätige Orga-Team der Borussia Berserkers. Michael Ochmann, von Beruf Jurist bei einem Bauunternehmen, kümmert sich mit großem Engagement um die zunehmend wichtigere Social-Media-Präsenz und das Sponsoring, Alex Bothe ist Kassenwart, Daniel Tefert quasi Mädchen oder besser Junge für alles.
Nicht nur lauter kräftige Kerle
Es ist eine bunt gemischte Truppe, für die sie sich engagieren. „American Football kann jeder spielen“, sagt „Festus“ Hoffmann, der selbst auch aktiv mitmischt. Körpermasse spiele in der Tat teils eine Rolle, teilweise auch Sprint-Qualitäten. Die Aufgaben im Team sind unterschiedlich, und so sind auch unterschiedliche Fähigkeiten gefragt, unterschiedliche Typen. „Alle haben ihre Berechtigung“, so der Outfitter in Sachen Football. Verschiedenartigkeit werde anerkannt, das gelte auch über die Altersunterschiede hinweg. „Football“, sagt er, „ist viel mehr als nur kräftige Männer, die sich umschubsen.” Football sei “geprägt durch Strategie und Teamgeist“.
Bei aller Freundschaft ist Härte gefragt. Da gelte eine Old-School-Philosophie, sagt Michael Ochmann, der auch ohne Ausrüstung augenscheinlich nicht mal eben so zu überrennen ist. Auch im Training gehe es vollkontaktmäßig zur Sache. Die ein oder andere Verletzung sei da unvermeidlich, „aber nichts Schlimmes“, versichert Tom „Festus“ Hoffmann. Football sehe „brutaler aus als es ist“. Und man habe außer einem Physiotherapeuten auch drei Sanitäter in den eigenen Reihen.
Anderer Sport: Langsam wachsen
Das Interesse am noch neuen Sportangebot des Vereins scheint vorhanden zu sein. Die Berserkers haben in Zusammenarbeit mit dem Bocholter Verein für Jugendhilfe und soziale Integration (Jusina) potenzielle junge Interessenten angesprochen und wollen dies auch am Euregio-Gymnasium tun. Außerdem haben sie bereits zweimal zum Ausprobieren eingeladen, zu sogenannten Rookie-Rush-Treffen, in Anlehnung an die Bezeichnung eines digitalen Kartenspiels und zu Deutsch etwa „Ansturm der Neulinge“. Barbecue inbegriffen. Zehn neue Mitglieder hätten sie im Sommer gewonnen, so Michael Ochmann.
Unter den Aktiven wolle „jeder möglichst schnell möglichst viel über Football lernen“, sagt Aaron Bush. Aber das gehe nicht von heute auf morgen: „Wir brauchen Zeit, damit sich jeder entwickeln kann.“ Im April kommenden Jahres soll es soweit sein, dass ein Berserkers-Team in den Spielbetrieb einsteigt. Gegen Mannschaften aus Borken, Coesfeld, Dorsten, vielleicht auch räumlich darüber hinaus, das steht noch nicht fest. Eine Jugendmannschaft soll hinzukommen.
Die Attraktivität des Footballs hierzulande speist sich auch aus der verbreiteten Faszination, die der American Way of Life ausübt, in diesem Fall die Betrachtung und Präsentation des Sports, die sich von der hier gewohnten Praxis unterscheidet. Und wenn schon American Football in Bocholt, dann soll das Drumherum, soll auch die Show entsprechend dazugehören: Bands, die Live-Musik spielen etwa, und natürlich Cheerleader. Tom Hoffmann denkt an die Mädels der Famatro: „Meine Tochter tanzt da.“ Der Ehrgeiz ist groß. Bocholt, so sagt Aaron Bush augenzwinkernd, könnte zur „American-Football-Metropole“ werden. – jf –