Engagiert, organisiert, improvisiert: Schülerinnen und Schüler vom Wasserturm meisterten preisgekrönten Kurs mit vielen Erlebnissen und Erfahrungen.
Schule ist ein organisierter Betrieb. Corona interessiert das nicht. Die Pandemie stört die gewohnte Ordnung und zwingt unvermittelt zur Improvisation. In ganz besonderem Maße haben dies die Schülerinnen und Schüler des Berufskollegs am Wasserturm bei ihrem ehrenamtlichen Engagement im Rahmen des gerade endenden MAD-Kurses erfahren, der dem eigenen Anspruch nach „ganz anders als andere Differenzierungskurse“ ist und dessen Bezeichnung MAD entsprechend “Making a Difference” bedeutet. Er beinhaltet neben dem sonstigen Schulunterricht ehrenamtliches Engagement als Praktikanten und Praktikantinnen in verschiedenen Einrichtungen und ermöglicht nach Erreichen von 50 Einsatzstunden den Erwerb eines Zertifikats, des sogenannten Sozialführerscheins. Oft mussten die Schülerinnen und Schüler von Einsatz zu Einsatz „springen“, umdisponieren, sich neu orientieren. Ihr Vorteil: Sie haben dabei besonders viel gelernt – an Wissen, an organisatorischem Geschick, allgemein „fürs Leben“, wie man so schön sagt. Nachdem wir den Kurs im Schuljahr begleitet und hier mehrfach darüber berichtet haben, ziehen wir abschließend mit einzelnen von ihnen ein kurzes Fazit über eine besondere Art des Lernens – persönlich ebenso wertvoll wie für Mitmenschen und Gemeinschaft. Das Foto oben zeigt sie vor dem Wasserturm mit den sie betreuenden Kursleitern Miriam Pietzka (links) und Maik Stevens (rechts), und zwar hinten von links Amina und Leonie, vorne Sina und Felix.
Kommunikation
Sina ist eine von denen, die besonders flexibel sein mussten. Zu Beginn des Schuljahres war sie im Jeanette-Wolff-Seniorenzentrum tätig, anschließend beim Generationenkochen des Vereins Leben im Alter (LiA) und für den Naturschutzbund NABU. Außerdem hat sie bei einer Veranstaltung des VfL 45 Kuchen verkauft sowie Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Aasee-Triathlons versorgt. Vorher, sagt die 17jährige Hamminkelnerin, habe sie nicht gewusst, wie sie mit älteren Menschen reden könne. Beim Rummikub spielen, Spazierengehen oder Waffeln backen mit Bewohnerinnen und Bewohnern der Senioreneinrichtung entstanden Gespräche quasi von selbst, durchaus auch über Privates. Unterschiede hat sie erlebt: „Einige wollen gar nicht reden, andere erzählen durch“ – etwa über ihre Häkel-Leidenschaft. Da lernt man auch zuzuhören. Sina hat ihr Stunden-Kontingent erreicht, möchte den Kurs aber im nächsten, ihrem letzten Jahr an der Schule erneut belegen.
Organisation
Amina war mit Sina beim VfL 45 im Einsatz, hat Erfahrungen beim Organisieren und beim Verkaufen gesammelt, für die Caritas mit Frauen gebacken und war für das Angebot des Offenen Ganztags an der Ludgerus-Grundschule aktiv. Dass die Kinder ganz selbstverständlich auf sie zugekommen sind, war für die 18-Jährige eine beeindruckende Erfahrung, die sie gerne fortsetzen möchte. Sie engagiert sich weiterhin ehrenamtlich für den VfL.
Zuneigung, Vertrauen, Autorität
Das Engagement im Offenen Ganztag war für die Schülerinnen und Schüler von Vorteil, weil dieses Angebot trotz der Pandemie überwiegend aufrechterhalten wurde.
Leonie hat bei ihren jeweils ein oder zwei Einsätzen pro Woche an der Grundschule St. Josef Ähnliches positiv erfahren wie Amina: „Die Kinder haben mich von sich aus einbezogen.“ Aber sie hatte auch mit Problemen umzugehen, wenn Streit zu schlichten war oder ein Kind ausgegrenzt wurde. Das besondere Lernen in diesem Kurs stellte die 18-Jährige zusätzlich vor eine ganz andere Herausforderung: Bei einer Baumfäll-Aktion des NABU war körperlicher Einsatz gefragt. Beruflich tendiert die Hamminkelnerin eher zum sozialen Bereich.
Kinder sind Persönlichkeiten
Für Felix war sein Einsatzort quasi vorgegeben: die Clemens-August-Schule – einst Grundschule für ihn wie auch für seine beiden Geschwister. Neben seiner Beteiligung beim Offenen Ganztag bot er Badminton an und dann, als sich das für die Grundschüler als eher ungeeignet erwies, Fußball. Nun selbst nicht mehr Grundschulkind sondern 18 Jahre alter Erwachsener, habe er zu Beginn seines Engagements „nicht gewusst, wie man mit Kindern umgeht“, sagt Felix. Er dachte, dass man ihnen sagt, was sie zu tun und zu lassen haben, aber dann hat er erfahren, dass man sie als Persönlichkeit ernst nehmen und als solche behandeln muss – quasi wie Erwachsene, meint er. Er hat sich an seine eigene Schulzeit erinnert, ganz besonders an einen Lehrer, der für ihn Vorbild war. Jetzt denkt er darüber nach, „ob ich selbst Lehrer werden möchte“.
Stress, der sich lohnt
„Wir hatten bei der Durchführung des Kurses aufgrund von Corona noch mehr Arbeit als sonst und einigen Stress, aber es hat sich gelohnt“, sagt Lehrerin Miriam Pietzka. Die Organisationen und Einrichtungen, mit denen das Berufskolleg zusammenarbeitet, seien voll des Lobes über die Schülerinnen und Schüler. Der Kreis der Anbieter für die Betätigung der Kursteilnehmer soll möglichst über Bocholt hinaus auf Nachbarkommunen ausgedehnt werden, um so auch Fahrten zu vermeiden. Und es entspricht dem weiterhin großen und wachsenden Schüler-Interesse an diesem Kurs.
Mitzuerleben, wie die jungen Leute sich in vielerlei Hinsicht weiterentwickelten, sei für sie wie auch für ihren Kollegen Maik Stevens toll, so Miriam Pietzka. Bei allem Aufwand: „Dafür machen wir das gerne.“ Der Kreis Borken hat das MAD-Projekt mit dem Heimatpreis 2021 ausgezeichnet. Auf der dabei verliehenen Urkunde heißt es, die Auswahl-Jury sei insbesondere von dem Ansatz überzeugt, „junge Menschen frühzeitig an ehrenamtliche Arbeit und soziales Engagement heranzuführen und dafür in der Schule nachhaltige Strukturen zu schaffen.“ Und weiter: „Dieses vielseitige und außerordentlich große Engagement ist nicht nur preiswürdig, sondern auch übertragbar.“ Ein Appell, dem guten Beispiel nachzueifern. – jf –