Nörgens bäter als hier – das weiß man. Manche haben Bocholt gar quasi zum Fressen gern. Sie engagieren sich im Verein mit dem appetit- und fantasieanregenden Namen „Essbare Stadt“.
Bundesweit gibt es mehrere „Essbare Städte“. In Bocholt ist man vor einigen Jahren auf den Geschmack gekommen, und seit 2018 gibt es dafür einen eingetragenen Verein, hinter dem ein besonderes Konzept des Gärtnerns steckt. Es beschert der Stadt an verschiedenen öffentlichen Orten Beete, die jeder nutzen kann – ob Vereinsmitglied oder nicht.
Pflücken und probieren
Der alte Klostergarten des früheren Klosters Zum Guten Hirten an der Karolinger Straße ist das natürliche Domizil des Vereins. Auf einem Teil des großen Geländes, einer kleinen grünen Insel von anfangs 350 und inzwischen rund 1000 Quadratmetern, befinden sich zwischen Bäumen, Gräsern und Stauden mit Namensschildern versehene Beete und das „kleinste Vereinsheim der Welt“, in dem alle Utensilien aufbewahrt werden, die man so zum Gärtnern benötigt. An dieser Stelle befand sich einst der Nutzgarten des Klosters. Aktuell 22 Vereinsmitglieder buddeln, pflanzen und ernten jetzt dort als sogenannte Beet-Paten. Sie stehen sozusagen für die Stadtgesellschaft querbeet, umfassen Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit und ohne Migrationshintergrund, wie Vera Hesselmann sagt, eine der begeisterten Beet-Betreiber und -Betreiberinnen. Auf der übrigen Fläche des Gartens darf jeder, der mag, einfach mal pflücken und etwas von der „Essbaren Stadt“ kosten.
Torsten Wollberg ist Gründungsmitglied und Vorsitzender des in Bocholt und Borken angesiedelten Vereins „Essbare Stadt Bocholt-Borken“, der in Bocholt mit fünf und in Borken mit sieben Mitgliedern startete und mittlerweile auf insgesamt 45 Gärtnerinnen und Gärtner angewachsen ist. Er wohnt gerade zehn Minuten entfernt und kann in dem Garten mal eben das pflücken, was zuhause auf den Tisch kommen soll. Da ergänzt man sich unter den Mitgliedern untereinander. Die Auswahl ist groß. Grünkohl und Kohlrabi gibt es ebenso wie dicke Bohnen, Kürbis, verschiedenste Sorten Salat, Erdbeeren, Pfefferminze und manches mehr.
Natürlicher Kreislauf
Dieser Garten ist anders, nicht nur weil er öffentlich nutzbar ist. Die hier gärtnern, orientieren sich weitgehend am Prinzip der Permakultur und damit am ökologischen Kreislauf. „Vielfalt statt Einfalt“ lautet eines der Prinzipien. Alte, heute allgemein nicht mehr verbreitete Sorten werden wiederentdeckt und angebaut. Es geht nicht um den schnellen Ertrag, sondern um nachhaltige Nutzung von Ressourcen. Samen hier wachsender Pflanzen werden eingesetzt, Pflanzen, die allgemein als Unkraut verpönt sind, bleiben erhalten und dienen als Schatten spendende Begleitkräuter. Was nicht geerntet wird, wird naturnah wiederverwendet. Auf künstlichen Dünger und Pestizide wird verzichtet. Wildblumenwiesen sowie Nistkästen und ein Bienenhotel gibt es in dem Garten, in dem sich im vergangenen Jahr auch Hornissen niedergelassen haben. Ein Bienenstock soll hinzukommen. „Mehr Bio geht nicht“, lautet ein Wahlspruch Torsten Wollbergs.
“Die Einstellung, die hinter alldem steht, reicht über den Gartenzaun hinaus. Das Gärtnern im Umgang mit der Natur zu fühlen, sei es im Ergebnis in Form einer Gurke, sei besser als eine Information durch einen Flyer oder Videos”, sagt Vera Hesselmann. Fußgänger und Radler, die am Garten vorbeikommen, erfahren das und Zusätzliches im Gespräch. Und nimmt man die „Essbare Stadt“ wörtlich, dann ist sie ja um Einiges größer und fordert zum Beackern heraus. Fühler ausstrecken, Kontakte und Kooperation gelten auch für diesen kleinen Verein. Naheliegend ist der Austausch mit der Senioreneinrichtung Zum Guten Hirten, wo Räume genutzt werden dürfen, ein Hochbeet mit Grünkohl aufgestellt wurde. Auch mal ein Video-Vortrag für die Bewohner zählt dazu oder ein Picknick im Klostergarten.
Verbindungen bestehen auch zu Kindergärten, und die Junge Uni war zu Besuch. Bei den Hochbeeten auf dem Kubaai-Gelände und jüngst auf dem Hof der Diepenbrock-Schule war der Verein im Einsatz, die Saatgutbörse der Stadtbibliothek wurde ebenso unterstützt wie das Caritas-Projekt „Grün im Viertel“ an der Klausenerstraße. Zu seinen eigenen Unterstützern zählen unter anderen „Tomaten-König“ Heinz Niehaus (an dieser Stelle schon vorgestellt), der Naturschutzbund NABU, die Stadt Bocholt, die unter anderem das Garten-Gelände zur Verfügung stellt, und der ESB als „Bewässerungshelfer“.
Kleiner Vorstand, große Gemeinschaft
Der kurze Draht, das „Man-kennt-sich“, die Gemeinschaft eben – das wird in der „Essbaren Stadt“ und um sie herum praktiziert. Und das motiviert, sagt Torsten Wollberg. Im Vorstand sind sie in Bocholt nur zu dritt. Aber die anderen bringen sich ein, übernehmen Aufgaben, packen mit an. Gerrit Seemann zum Beispiel. Der war auf Rügen und hat von dort seewettererprobten Samen mitgebracht. Und als Presbyter der Christuskirche hat er die Idee, auch dort Hochbeete für Anwohner aufzustellen – die „Essbare Kirche“ quasi in der „Essbaren Stadt“. Bei den vielen Aufgaben und Absprachen, die anstehen, bei der Flächengestaltung, der Suche nach Einkaufsquellen, der Organisation der regelmäßigen Arbeitstreffen zum Ideen-Austausch, der Betreuung der WhatsApp-Gruppe oder auch der Anschaffung des neuen Zaunes sei Vera Hesselmann, stellvertretende Geschäftsführerin des Kreisverbandes Borken des Naturschutzbundes NABU, seine rechte Hand, so der Vorsitzende. Diese Arbeitsteilung, das vertrauensvolle Zusammenwirken – das sei toll, sagt er.
Generell schätzen sie im Verein den sozialen Kontakt, der mitten in ihrem Garten sporadisch und zwanglos auch beim Glas Bier oder Wein gepflegt wird oder auch beim improvisierten Frühstück. Bei solcher Gelegenheit tauscht man gerne Rezepte aus. Jeder und jede kann kommen, wann er oder sie mag. Ein gemeinsamer Treff findet von April bis August jeweils donnerstags von 18.30 bis 20.30 Uhr statt, von September bis März jeden zweiten Samstag im Monat von 10.30 bis 12.30 Uhr. Das Foto zeigt Dietmar Weenink, Torsten Wollberg, Gerrit Seemann, Oliver Bürkel, Vera Hesselmann, Bernd Wollberg und Verena Niehaus (von links) beim gemeinsamen Gärtnern.
Die “Essbare Stadt“ wächst weiter – in Richtung „Essbare Region“. In Vreden hat sich eine neue Gruppe gegründet, in Ahaus gibt es Interessenten. – jf –