Es wird nicht getrommelt, nicht gepfiffen, nicht marschiert. Die Spielmannszüge sind plötzlich zum Schweigen und Stillstehen verdonnert. Was machen sie da? Sie hoffen und planen, und sie entwickeln originelle Ideen für Alternativen.
Schützenfeste gehören zum Jahreslauf wie Weihnachten und Ostern. Sie sind traditionell feste Bestandteile des Lebens in den Dörfern und Ortsteilen. Insbesondere damit verbindet man das „klingende Spiel“. Die Spielmannszüge, mittlerweile zunehmend von „Spielfrauen“ dominiert (in Lowick zu rund 60 Prozent, in Barlo zu etwa zwei Dritteln, und unter den 35 aktiven Morssenhooker Spielleuten zu zirka 85 Prozent) haben einen besonderen Stellenwert: Sie leisten einen kulturellen Beitrag durch musikalische Aus- und Weiterbildung wie auch für ihr Publikum, beziehen Jung und Alt ein, vermitteln die Fähigkeit zu Konzentration, zum Teamwork in der Gruppe und Verantwortungsbewusstsein. Sie sorgen für Kontakte, für Zusammenhalt und für Spaß. Das ganze Jahr über, nicht nur zur Schützenfest-Zeit.
Corona indes scherte sich nicht um Tradition und Gemeinschaft. Unvermittelt hieß es: Spiel aus! Reihenweise wurden die Schützenfeste abgesagt. Und auch sonst war das Zusammenkommen und Zusammensein verboten. Etwa bei Stiftungsfesten und Jubiläen, Geburtstagsständchen, Hochzeiten und Goldhochzeiten, Sommerfesten in Seniorenheimen, die sonst den Terminkalender beispielsweise des Lowicker Spielmannszuges als Untergruppe des Schützenvereins St. Bernhard links der Aa füllen. „Momentan findet gar nichts statt“, sagt Vorstandsmitglied Mareen Wienand. Seit zwei Jahren kooperieren die 25 aktiven Lowicker Spielleute im Alter von sechs bis 60 Jahren per „Spielgemeinschaft“ mit dem Spielmannszug des Schützenvereins Feldmark-West, proben gemeinsam, treten gemeinsam auf, leisten gemeinsame Vorstandsarbeit und „bringen Kindern das Flötenspiel bei“, wie Mareen Wienand sagt. Fahrrad- und Kanu-Touren, Rallyes, Zelten, Grillen oder Bowlen zählen zum Angebot neben dem Musizieren – bislang, bis zum wegen der Infektionsgefahr verfügten Schlussakkord.
Beethoven auf dem Balkon
Die Lowicker und Feldmarker haben sich bemüht, das Beste draus zu machen. Sie haben jeder für sich daheim ihr Instrument genutzt, sich bei den Balkon- und Fensterkonzerten mit Beethovens Ode an die Freude eingereiht, bei der Facebook-Challenge „Wir bleiben zuhause“ mitgemacht und per WhatsApp untereinander Kontakt gehalten. In deutlich reduzierter Form fand in Lowick immerhin die Mitglieder-Ehrung statt.
Dass nach dem Corona-Ausbruch wenigstens Familie gestattet war, kam Sven Geuting, Vorsitzender des Spielmannszuges Bocholt-Morssenhook, eigentlich zupass. Er hat quasi eine kleine musikalische Besetzung bei sich zuhause: Seine Frau, die er im Spielmannszug kennengelernt hat, spielt dort ebenso Flöte wie er selbst, nachdem er zwischenzeitlich etliche Jahre auf die Pauke gehauen hat, ihr 15jähriger Sohn trommelt, der 18-jährige ist Tambourmajor. Doch selbst in der familiären Nähe kann die Harmonie derzeit nicht akustisch artikuliert werden: Alle Instrumente des Vereins sind weggeschlossen.
Schützenfest: Mal virtuell, mal angeleint
Der Mussumer Spielmannszug trägt mit seinen 50 aktiven Mitgliedern zwischen acht und 48 Jahren und 115 weiteren passiven bedeutend zum Freizeit- und Kulturangebot in dem Stadtteil bei. Als mit dem Schützenfest das „Highlight des Jahres“ ausfiel und sie den Mitgliedern immer wieder Absagen mitteilen musste, war das für die Vorsitzende Christine Kronenfeld deprimierend. Aber sie und ihre Truppe bewiesen Zusammenhalt und Kreativität. Zum diesmal ausfallenden Saisonauftakt stellte ein Pärchen in Spielmannszug-Uniform den Mitgliedern Überraschungen vor die Haustüren, und dann wurde aus der Distanz gemeinsam angestoßen. Der Auftritt beim Schützenfest fand in virtueller Form statt: Aus Fotos und Tonmitschnitten der vergangenen Jahre entstanden Videos, die exakt zu den eigentlich vorgesehenen Auftritt-Zeiten verschickt wurden.
Die Barloer Spielleute haben kürzlich ihr Sommerfest sausen lassen. Sie mussten auf die Teilnahme am Wettstreit um den Grenzland-Pokal ebenso verzichten wie auf einen musikalischen D-Lehrgang und eine Fortbildung in Sachen Teambildung. Aber mit Fantasie und Ehrgeiz haben sie Mittel und Wege gefunden aufzutreten – allen Schwierigkeiten zum Trotz. Anders als andere Schützenvereine sann die Schützengilde vor Ort darüber nach, wenigstens etwas von ihrem Schützenfest zu retten – natürlich mit Spielmannszug. Die 150 agilen Musikanten, davon 96 aktive, entwickelten einen Plan für ein „mobiles Konzert“. Dafür mussten sie den zuständigen Behörden ein komplettes Sicherheitskonzept vorlegen, dessen Einhaltung polizeilicher Kontrolle unterlag. Flyer wurden gedruckt, um betroffene Anwohner zu informieren. Und dann erlebte Barlo eine sehenswerte Premiere: den Spielmannszug als doppelten „Flatterbandwurm“ – in Zweierreihen links und rechts der Straße und, um den nötigen Abstand auch zum Vordermann oder zur Vorderfrau zu halten, mit jeweils sorgsam vermessenen Bändern zwischen ihnen (Foto oben). „Die mussten sich nicht nur aufs Musizieren und Marschieren konzentrieren, sondern auch aufpassen, dass das Band immer schön gespannt war“, sagt die Vorsitzende Yvonne Lensing. „Die Leute standen in den Vorgärten und haben uns gefeiert. Und wir alle waren mega happy, dass wir das überhaupt machen durften.“
Proben unter freiem Himmel
Vom „Marschieren mit Leinenzwang“ in Barlo abgesehen, könnten die Vorstandsmitglieder der Spielmannszüge ja in gewisser Hinsicht froh sein, dass sie mal Pause haben. Dass sie mal nicht Termine absprechen, Anmeldungen vornehmen, Fahrten organisieren, Instrumente besorgen, Finanzierungen regeln und dass sie all das derzeit nicht zusätzlich zu Beruf und Familie hinkriegen müssen. Aber ihnen allen, Sopran- und Alt-Flötistinnen, Trommlern und „Paukern“, Lyra- und Beckenspielern, juckt es längst wieder in den Fingern. Mit dem Proben ist das allerdings so eine Sache, denn in den hier wie dort dafür genutzten Schulräumen ist es schwierig und aufwendig, die strengen Hygiene-Anforderungen umzusetzen. Die Mussumer wollen das Problem lösen, indem sie nach den Ferien unter freiem Himmel proben – in der Dorfmitte beim Heimathaus am Marienplatz, mit den geforderten sieben Quadratmetern pro Person. Und die Jüngsten sollen in Kleingruppen im Pfarrheim üben. Mit kleinen Gruppen im Saal der Gaststätte Wissing-Flinzenberg wollen auch die Barloer den Probenbetrieb wieder aufnehmen.
Nach den großen Ferien wenigstens mal wieder treffen, wenn auch ohne Instrumente – das möchte Matthias Fahrland vom Spielmannszug Feldmark-West gerne organisieren, und auch die Lowicker sehnen sich nach solchen persönlichen Kontakten. Gemeinsam drücken sie die Daumen für 2021, wenn das 200-jährige Bestehen des Schützenvereins St. Bernhard gefeiert werden soll. Die Morssenhooker sind skeptisch und haben ihr 70-jähriges Vereinsjubiläum für nächstes Jahr abgesagt. „Vielleicht feiern wir dafür alle Geburtstage nach“, sagt Sven Geuting. Auch sie wollen jetzt aber endlich wieder komplett in ihrem Vereinslokal „Zur Glocke“ zusammenkommen. Und die Barloer? Die wollen das, was im Juni fast wie am Schnürchen geklappt hat, beim Jungschützenfest im September wiederholen. – jf –